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Was ist eigentlich… Nichtsuizidale Selbstverletzung? (Self-Injury Awareness Day am 01.03.)

Jedes Jahr am 01.03. findet der Self-Injury Awareness Day bzw. Self-Harm Awareness Day statt. Ziel ist die Sensibilisierung der Bevölkerung für dieses in der Bevölkerung sehr verbreitete Phänomen und einen offeneren Umgang mit dieser Thematik. Aus diesem Grund wollen wir uns heute bei FOAMio auch ein bisschen diesem Thema widmen und dabei versuchen gängige Stereotype abzubauen und ein wenig aufzuklären.

Grundsätzliches

Die „Nicht-suizidale Selbstverletzung“ (NSSV) ist als Forschungsdiagnose im DSM-5 als direkte, repetitive, sozial nicht akzeptierte Schädigung von Körpergewebe ohne suizidale Absicht definiert. Repetitiv meint hierbei, dass die Betroffenen sich innerhalb eines Jahres an 5 oder mehr Tagen absichtlich selbst verletzt haben. Im ICD-11 wird die „Nichtsuizidale Selbstverletzung“ beschrieben als „absichtliche Selbstverletzung des Körpers, meist durch Schneiden, Kratzen, Brennen, Beißen oder Schlagen, in der Erwartung, dass die Verletzung nur zu einem geringen körperlichen Schaden führt“. Lloyd-Richardson et al. haben mit ihrer Definition aus dem Jahr 2007 noch hervorgehoben, dass die Verhaltensweise bewusst und freiwillig erfolgt.

„Bewusste freiwillige und direkte Zerstörung von Körpergewebe ohne suizidale Absicht“

Lloyd-Richardson EE, Perrine N, Dierker L, Kelley ML. Characteristics and functions of non-suicidal self-injury in a community sample of adolescents. Psychol Med. 2007 Aug;37(8):1183-92. doi: 10.1017/S003329170700027X. Epub 2007 Mar 12. PMID: 17349105; PMCID: PMC2538378.

Wichtig zu betonen ist aber, dass z.B. repetitive Stereotypien, welche oft im Rahmen von Entwicklungsstörungen auftreten, aber auch starke Selbstverletzungen im Rahmen von Intoxikationen oder psychotischen Zuständen nicht zu den NSSV zählen.

Anders als landläufig bekannt tritt die nicht-suizidale Selbstverletzung nicht oder fast nur bei Patient*innen mit einem Borderline-Muster auf, sondern ist vor allem in den jungen Jahren stark verbreitet. Darüber hinaus stellt die NSSV, vor allem innerklinisch, einen nicht seltenen Vorstellungsgrund dar und dies i.d.R. vor und nach Mitternacht sowie eher am Wochenende, aso in Zeiträumen zu denen grundsätzlich schon weniger Personal in Notaufnahmen verfügbar ist.

Typische Verletzungsmuster bei der nicht-suizidalen Selbstverletzung sind direkte Schädigungen der Haut, typischerweise an den Unterarme und Handgelenke. Üblischerweise erfolgt die die Schädigung durch Nutzung von Klingen, Messer, Scheren, Skalpellen oder scharfen Kanten, aber es kommt z.B. auch zum Einsatz von Hitze um sich selbst zu verletzen.

Zahlen & Fakten

  • Prävalenzen
    • Lebenszeitprävalenz für einmalige NSSV bei Kindern/Jugendlichen weltweit: ca. 15 – 17 %
    • Lebenszeitprävalenz für einmalige NSSV bei Kindern/Jugendlichen Deutschland: ca. 25 – 35 %
    • 1-Jahres-Prävalenz für einmalige NSSV bei Kindern/Jugendlichen Deutschland: ca. 14 %
    • Lebenszeitprävalenz für repetitive NSSV bei Kindern/Jugendlichen weltweit: 4 – 6 %
    • NSSV-Prävalenz nimmt mit zunehmenden Alter ab
    • Lebenszeitprävalenz bei Erwachsenen: ca. 5 %
  • Alter bei erster nicht-suizidaler Selbstverletzung im Durchschnitt bei 12 – 15 Jahren
  • Altersgipfel bei NSSV (höchste Prävalenz): 15 – 16 Jahre
  • NSSV tritt ca. 100 mal häufiger auf als suizidales Verhalten (CAVE: nicht selten sind beide Phänomene nicht eindeutig zu trennen)
  • Geschlechterverteilung: 65 % Frauen und 35 % Männer (Frauen eher Zufügen von Hautschnitten, Männer eher Schlagen auf harte Oberflächen)
  • 65 % der Betroffenen verletzen sich in Form von Schneiden
  • ca. 50 % der Betroffenen suchen nach Hilfe (CAVE: meist nur bei Freunden, nicht bei Fachleuten)
  • sexuelle Minderheiten haben ein höheres Risiko (z.B. verletzen sich ca. 50 % aller bisexuellen Frauen verletzen selbst)
  • Mädchen mit Selbstverletzungen werden ca. 4-mal häufiger ins KH eingeliefert
  • bei jugendpsychiatrischen Stichproben gaben bis zu 60 % der Patient*innen eine einmalige NSSV an und ca. 50 % wiederholte NSSV an
  • bei Personen mit NSSV besteht ein höheres Suizidrisiko (10 % der Betroffenen, die sich in den letzten 4 Wochen selbst verletzten, hatten im vergangenen Jahr einen Suizidversuch und ca. 60 % hatten Suizidgedanken)
  • > 50 % der Betroffenen im Alter zw. 12 – 16 Jahren berichteten von Anspannungszustand vor Selbstverletzung
  • ca. 40 % aller Heimkinder hatten einmalige NSSV und ca. 18 % repetitive NSSV
  • > 90 % aller Patient*innen mit Borderline-Muster verletzen sich zur Emotionsregulation selbst
  • ca. 2 % der Betroffenen verletzen sich nur einmal selbst, ca. 23 % 25 – 50-mal und der größte Teil von 75 % mehr als 50-mal
  • in Untersuchungen stellte man bei 65 % der Betroffenen fest, dass diese sexuelle Missbrauchserlebnisse, 42 % erlebten körperliche Misshandlungen und 74 % wurden emotional vernachlässigt

Funktionen der NSSV

Gemäß Klonsky (2007) hat die nicht-suizidale Selbstverletzung sieben Funktionen, die bei den meisten Patient*innen erfüllt sind. Diese sieben NSSV-Funktionen sehen wie folgt aus:

  • Affekt-/Emotionsregulation (Reduktion akuter negativer Affekte/Anspannungen; häufigste Funktion der NSSV; CAVE: kurzfristig Abbau an Anspannung, langfristig entsteht verstärkender Teufelskreis)
  • Anti-Dissoziation (Beendigung von Depersonalisationen oder Dissoziationen; Schmerz u.Ä. kann dissoziatives Erleben durchbrechen; v.a. bei PTBS und/oder Borderline-muster)
  • Anti-Suizid (Regulation & Durchbrechen von Suizidimpulsen/-gedanken)
  • interpersonelle Beziehung ) NSSV kann sozial abgrenzende oder integrierende Funktion haben)
  • interpersonelle Beeinflussung (Erhalt von Hilfe verbunden mit Fürsorge & Aufmerksamkeit, aber auch Manipulation anderer verbunden mit Wut & Ablehnung)
  • Selbstbestrafung (Ausdruck von Wut und Selbsthass)
  • Sensation Seeking (Generierung von Spannung oder Aufregung; ggf. als Auslöser von Nervenkitzel o.Ä. als Risikoverhaltensweise)

Einteilung der direkten Selbstverletzung gemäß Favazza (1996)

  • stereotype Selbstverletzungen (rhythmische, gleichförmig und starr ablaufende autoaggressive Handlungen bei Personen mit geistigen Behinderungen, autistischer Erkrankung  oder schwerer Stoffwechselstörung)
  • majore/schwere Selbstverletzungen (lebensbedrohliche autoaggressive Handlungen wie z.B. Selbstkastrationen oder Selbstamputationen im Rahmen schwerer psychiatrischen Erkrankungen wie Psychosen, Intoxikationen, Drogen etc.)
  • kompulsiv zwanghafte Selbstverletzungen (leichte autoaggressive Handlungen wie Nägelkauen, Haareausreißen etc.)
  • impulsive Selbstverletzungen (episodische und repetitive Formen autoaggressiver Handlungen wie Hautschnitte, Brandwunden etc.)

Anamnese & Diagnostik

  • Anamnese hinsichtlich Vorerkrankungen (siehe Komorbiditäten)
  • körperliche Untersuchung & somatische Abklärung
  • Impfstatus (v.a. Tetanus)
  • psychopathologische Befund (v.a. Suizidalität, aktuelle schwierige Lebensereignisse etc.)
  • Sozialanamnese (z.B. Konfliktsituationen auf Arbeit/in Familie, Einfluss aus der Gruppe der Gleichaltrigen etc.)
  • Medienanamnese (Social Media Konsum, v.a. von Accounts mit spezifischen Inhalten)
  • Vorgeschichte selbstschädigender Handlungen
  • Anamnese bzgl. Substanzgebrauch
  • ggf. Fremdanamnese durch Eltern oder andere Sorgeberechtigte
  • Familienanamnese (z.B. bzgl. selbstschädigenden Verhaltens)
  • spezifische Anamnese bzgl. selbstverletzendem Verhalten
    • Alter bei Beginn, Verlauf, Veränderung
    • ggf. bestehende suizidale Impulse
    • Lokalisationen, Häufigkeit und Art sowie Ausmaß und Schwere der Selbstschädigungen
    • medizinische Komplikationen oder Interventionen (z.B. Wundversorgung o.Ä.)
    • Motive, emotionale Zustände, Trigger bzw. Intention der Selbstverletzung
    • Empfinden, Verhalten unmittelbar und später nach der Verletzung
    • Dystonizität (Wunsch aufzuhören) & Kontrolle (erfolgreiches Beenden)
    • Funktionen der Selbstverletzung

Diagnosekriterien gemäß DSM-5

  • selbstzugebrachte Zerstörung oder Veränderung des Körpergewebes
  • Erwartung, dass Verletzung nur geringen oder mäßigen körperlichen Schaden hat, und ohne suizidale Absicht
  • Schädigung des Körpergewebes in nicht sozial akzeptierter Form
  • Schädigung in direkter und repetitiver Form (≥ 5 Tage innerhalb eines Jahres)
  • Ziele der Schädigung sind…
    • eine Entlastung von negativen Gefühlen oder negativen kognitiven Zuständen.
    • die Lösung zwischenmenschlicher Probleme.
    • das Herbeiführen eines positiven Gefühlszustand.
  • absichtliche Selbstverletzung wird von min. einem der folgenden Merkmale begleitet:
    • zwischenmenschliche Probleme oder negative Gefühle oder Gedanken (z.B. Depression, Angst, Anspannung, Ärger, generalisiertes subjektives Leiden oder Selbstkritik unmittelbar vor selbstverletzendem Verhalten)
    • Phase des gedanklichen Verhaftetseins mit beabsichtigtem Verhalten, welches schwer kontrolliert werden kann, vor der Einleitung des Verhaltens
    • häufige Gedanken an Selbstverletzungen, die sich nicht im Verhalten niederschlagen müssen
  • Verhalten oder dessen Folgen verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, ausbildungsrelevanten oder anderen wichtigen Funktionsbereichen
  • Verhalten tritt nicht ausschließlich während psychotischer Episoden, Delir, Substanzintoxikation oder Substanzentzug auf (CAVE: bei neuronalen Entwicklungsstörung tritt das Verhalten nicht als Teil eines Musters repetitiver Stereotypien auf)
  • Verhalten kann nicht besser durch andere psychische Störung oder medizinischen Krankheitszustand erklärt werden (z.B. siehe Differentialdiagnosen)

Komorbiditäten

  • Persönlichkeitsstörung oder ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale oder -muster (z.B. ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung oder Borderline-Muster; CAVE: NSSV tritt nicht nur bei Borderline auf, aber ca. 75 % der Borderline-Patient*innen haben NSSV)
  • affektive Störungen wie Depression
  • Angststörung
  • Störung des Sozialverhaltens
  • Essstörung
  • Zwangsstörungen
  • PTBS oder dissoziative Erkrankung, z.B. nach Deprivation, Missbrauchserfahrung oder Traumatisierung
  • Münchhausen-Syndrom
  • Körperintegritätsidentitätsstörung
  • neuronale Entwicklungsstörungen wie Tic-Störung (z.B. Tourette-Syndrom), Autismus-Spektrum-Störung oder Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
  • Substanzmissbrauch und Abhängigkeitsstörung

Red Flags

  • häufige nicht erklärbare Narben, Schnitte, Verbrennungen, Hämatome o.Ä.
  • äußeren Gegebenheiten nicht passende Kleidung (z.B. Pullover bei 30 °C im Schatten)
  • Weigerung sich öffentlich umzuziehen oder an regelmäßigen Aktivitäten teilzunehmen (z.B. beim Turnunterricht, Schwimmen)
  • sehr impulsives Verhalten und/oder Risikoverhalten (auch starke Stimmungsschwankungen)
  • Besitz von Mitteln zur Verletzung (z.B. Rasierklingen, Messer)
  • sozialer Rückzug oder Heimlichtuerei (z.B. Einschließen in Zimmer/Bad oder verschlosseneres, ruhigeres oder zurückhaltenderes Auftreten als sonst)
  • Besitz oder Erstellung von Zeichnungen/Texte mit Bezug auf NSSV
  • traumatisierende Erlebnis in der nahen Vergangenheit
  • schlechtere Leistungen in Schule, Ausbildung oder Beruf

Risikofaktoren

  • demografische Risikofaktoren
    • weibliches Geschlecht
    • Jugendalter
    • Arbeitslosigkeit
    • alleinlebend
  • chronische Krankheiten oder mehrfache Operationen
  • familiäre Risikofaktoren
    • Gesundheitsprobleme in der Familie
    • psychische Belastungen eines Elternteils
    • Verlust eines Elternteils (z.B. durch Trennung, Scheidung, Tod o.Ä.)
    • konflikthafte Elter-Kind-Beziehung
    • Gewalt zwischen Familienmitgliedern
    • geringe soziale Unterstützung und schlechte Beziehungsqualität
  • psychische Erkrankungen/Symptome
    • Angststörung
    • Depression und depressive Symptomatik
    • Hoffnungslosigkeit
    • Aggressivität, externalisierende Verhaltensauffälligkeiten
    • Cluster-B-Persönlichkeitsstörung
    • Essstörung
    • internalisierende Verhaltensauffälligkeiten
    • Affektregulationsproblem
    • Substanzkonsum
    • geringer Selbstwert
  • Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit
    • körperliche Vernachlässigung und Misshandlung
    • emotionale Vernachlässigung und Misshandlung
    • sexueller Missbrauch
  • NSSV und suizidales Verhalten
    • Vorgeschichte von NSSV
    • Vorgeschichte von Suizidgedanken und -versuchen
    • Erleben von NSSV bei Peers

Ausschluss- & Differentialdiagnosen

  • Trichotillomanie, Onychophagie
  • körperdysmorphe Störung
  • genetische Syndrome (z.B. Lesch-Nyhan-Syndrom, Cornelia-de-Lange-Syndrom, Rett-Syndrom, Smith-Magenis-Syndrom, Prader-Willi-Syndrom)
  • Suizidalität
  • somatische Erkrankungen mit artifizieller Überlagerung wie z.B. Neurodermitis, Prurigo, Psoriasis (Köbner-Phänomen) und Ulkus
  • Intelligenzminderung
  • psychotische Zustände
  • Intoxikationen
  • stereotypes Verhalten bei tiefgreifenden Entwicklungsstörungen

Screening-Tools

  • Functional Assessment of Self-Mutilation (FASM)
  • Deliberate Self-Harm Inventory (DSHI)
  • Self-Harm Inventory (SHI)
  • Self-Harm Behavior Questionnaire (SHBQ)
  • Modifiziertes Ottawa/Ulm Selbstverletzungs-Inventar (MOUSI)

Exkurs – Spannungsbogen bei NSSV

Der eigentliche Akt der Selbstverletzung folgt i.d.R. einem typischen Schema, welches sich gut als Spannungsbogen charakterisieren lässt. Vor der eigentlichen selbstverletzenden Handlung kommt es oft zu belastenden zwischenmenschlichen Erfahrungen/Erlebnissen mit starken negativen Gefühlen, wobei diese nicht selten stark subjektiv gefärbt bzw. verzerrt sind und oft auch durch die Umgebung getriggert/ausgelöst sind. Nachfolgend kommt es zu einer narzisstischen Fehlregulation, welche auf Wutgefühlen, Verzweiflung, Angst vor Ablehnung und Dysphorie in Verbindung mit Gefühlen von Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit fußt. Der daraus resultierende affektive Druck bedingt dann dissoziative Entfremdungserlebnisse wie Depersonalisation und ein vermindertes Schmerzempfinden (Hypoalgesie). Auf diesem affektiven Höhepunkt kommt es unter der hohen, entstandenen Spannung zur eigentlich Selbstverletzung. Durch das rinnende Blut oder äquivalente Ergebnisse der Selbstverletzung entsteht ein Gefühl der Gewissheit, noch am Leben zu sein, bzw. ein Gefühl der Gewissheit als Selbst noch zu existieren. Dadurch kommt es initial zu einem Gefühl der Erleichterung, wenn nicht sogar zu einem Gefühl des Wohlbefindens, welche die Anspannungszustände durchbricht. Das „gute“ Gefühl entsteht v.a. durch die Ausschüttung von Endorphinen, welche auch dafür verantwortlich sind, dass das Schmerzempfinden gemindert ist. Problem hierbei ist jedoch, dass diese positiven Gefühle nur kurz bestehen und sich rasch Gefühl von Ekels, Scham und/oder Schuld aufbauen. Zusätzlicher Katalysator für diese sich einstellenden negativen Gefühle ist die Angst bzgl. ggf. entstellender Narben o.Ä. sowie einem negativen sozialen Echo. Die letzte Stufe dieses Teufelskreises bilden die schlussendlich entstehenden Selbstvorwürfe, dass man dem Drang bzw. Druck der Selbstverletzung nachgegeben zu haben und der Teufelskreis beginnt i.d.R. von neuen.

Therapie

Abhängig von der Schwere der selbst zugefügten Verletzungen steht initial die Wundversorgung selbiger im Vordergrund und erst im Nachgang erfolgt eine psychiatrische Vorstellung (CAVE: ggf. Tetanus-Impfung und Antibiotika-Therapie berücksichtigen).

Therapeutisch hat sich z.B. die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) etabliert. Dieser psychotherapeutische, verhaltenstherapeutische Ansatz wurde in den 80er Jahren für die Behandlung von selbst- und fremdgefährdendem Verhalten und Borderline-Störungen entwickelt. Eines der Ziele der DBT ist die Entwicklung spezifischer Skills bzw. Coping-, Bewältigungs- oder Ausweichstrategien für die Betroffenen, welche einem in typischen Auslösersituationen helfen sollen den entstehenden Druck besser in nicht-autoaggressiven Verhalten kanalysieren zu können, sowie die Verbesserung der Selbstempathie. Ein typisches Therapieprogramm bei NSSV ist das sog. Cutting-Down-Programm, welches aus Modulen mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen sowie dialektisch-behavioralen Ansätzen besteht und etwa 10 Sitzungen umfasst.

Wie bei den meisten therapeutischen Vorgehensweisen in der Psychiatrie und Psychotherapie ist auch bei NSSV das Umfeld in den therapeutischen Prozess mit einzubeziehen.

Ein medikamentöses Vorgehen spielt bei der NSSV-Behandlung eher eine nebensächlich Rolle. Bei akuten Spannungszuständen und aggressiver Impulsivität können ggf. niedrigpotente Neuroleptika eingesetzt werden. Von der Nutzung von Benzodiazepien sollte abgesehen werden (CAVE: Missbrauchs- & Abhängigkeitsrisiko). Etwaige Komorbiditäten sind natürlich medikamentöse, aber auch psychotherapeutisch bei der Gesamttherapie zu berücksichtigen.

kommunikatives Vorgehen

  • Schaffen eines ruhigen, vertrauensvollen und wertfreien Rahmens (CAVE: ggf. initial ohne Anwesenheit von Eltern, Erziehungsberechtigten o.Ä.)
  • neutrale Grundhaltung mit dem Ziel des Herstellens einer guten Vertrauensbasis
  • selbstverletzendes Verhalten offen ansprechen, aber ohne äußeren Druck
  • Betroffenen Verständnis und Wertschätzung entgegenbringen
  • kein Moralisieren des nicht-suizidalen selbstverletzenden Verhaltens (CAVE: selbstverletzendes Verhalten ist kein Schrei nach Aufmerksamkeit, sondern ein Hilferuf)
  • Botschaften/Intention hinter der Selbstverletzung versuchen zu verstehen & ernst nehmen
  • Abklärung der Absprachefähigkeit bzgl. NSSV und v.a. Suizidalität
  • Vermittlung von alternativen Handlungsstrategien
  • keine übertriebene Aufmerksamkeit bzgl. NSSV (CAVE: ggf. katalysierende Funktion)
  • Vermeidung stigmatisierender Begriffe wie „Selbstverstümmlung“, „Ritzen“ etc.
  • keine Berührung ohne Zustimmung (z.B. Umarmen, Hand halten etc.)

Einweisungs-/Aufnahmeindikationen

  • akute Suizidalität
  • Haben die Selbstverletzungen zu erheblichen körperlichen Schäden geführt, die eine enge Überwachung notwendig machen, sollte ebenfalls eine stationäre Behandlung erfolgen.
  • Wenn ambulant keine ausreichende diagnostische Klärung herbeigeführt werden kann, kann ebenfalls eine stationäre Durchuntersuchung erwogen werden.

Quellen

Published inWelttag...

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