veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Neurologie
Klassifikation gemäß AWMF: S1
Datum der Veröffentlichung: 30.04.2017
Ablaufdatum: 29.04.2022
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-041.html
Definition
- epileptischer Anfall: vorrübergehendes Auftreten von Anzeichen und/ oder Symptomen aufgrund einer pathologisch exzessiven oder synchronen neuronalen Aktivität im Gehirn
- abhängig vom Ort und der Ausprägung der Anfälle variiert die Phänomenologie erheblich
- reicht von nur wenige Sekunden dauernden motorischen und sensiblen Phänomenen über Aussetzer (Absencen) und Abläufe mit Zuckungen einer Extremität bis hin zu komplexeren Bewegungs- und Bewusstseinsphänomenen und zu klassischen tonischklonischen Anfällen
- epileptische Anfälle
- i. d. R. nicht länger als 2 Minuten
- Patient befindet sich dabei im iktualen (iktalen) Zustand
- vielen Anfällen folgt eine Nachphase (postiktual, postiktal), die vor allem im höheren Lebensalter auch 24 Stunden und länger anhalten kann
- Auren: Teil der Anfallspropagation oder des Anfalls selbst und bestehen aus subjektiven Phänomenen (psychische, kognitive oder sensorische Sensationen)
- Epilepsie
- min. zwei nicht provozierte Anfälle oder Reflexanfälle, die im Abstand von mehr als 24 Stunden auftreten
- ein nicht provozierter Anfall oder Reflexanfall verbunden mit einer Wahrscheinlichkeit, während der nächsten 10 Jahre weitere Anfälle zu erleiden, die vergleichbar ist mit dem allgemeinen Rückfallrisiko (mindestens 60%) nach zwei nicht provozierten Anfällen
- Diagnose eines Epilepsie-Syndroms
Ursachen
- genetischen Dispositionen (z.B. Ionenkanal- oder Transmitterrezeptormutation, tuberöser Sklerose) über verschiedene Stoffwechseldefekte, angeborene und perinatal erworbene Hirnfehlbildungen/-schäden, Entzündungs- und Traumafolgen bis hin zu Hirntumoren, vaskulären Läsionen, etc.
- Einteilung der Epilepsie differentialätiologisch in symptomatische, idiopathische und kryptogene Epilepsien
Klassifikation
- Klassifikation von Epilepsien und Epilepsiesyndromen
- Epilepsie genetischer Genese
- Epilepsie struktureller Genese
- Epilepsie infektiöser Genese
- Epilepsie metabolischer Genese
- Epilepsie immunologischer Genese
- Epilepsie unbekannter Genese
- Klassifikation von epileptischen Anfällen
- generalisierte Anfälle
- motorisch
- tonisch-klonisch
- klonisch
- tonisch
- myoklonisch
- myoklonisch-tonisch-klonisch
- myoklonisch-atonisch
- atonisch
- epileptische Spasmen
- nichtmotorisch (Absencen)
- typisch
- atypisch
- myoklonisch
- Augenlidmyoklonien
- fokale Anfälle
- mit erhaltenem Bewusstsein
- mit eingeschränktem Bewusstsein
- Beginn mit motorischen Symptomen
- Automatismen
- atonisch
- klonisch
- epileptische Spasmen
- hyperkinetisch
- myoklonisch
- tonisch
- • Beginn mit nicht-motorischen Symptomen
- autonome Symptome
- Verhaltensarrest
- kognitiv
- emotional
- sensorisch
- von fokal zu bilateral tonisch-klonisch
- mit unklarem Beginn
- unklassifizierbar
Diagnostik
- Vorgehen
- Handelt es sich um einen epileptischen Anfall?
- Handelt es sich bei dem Anfall um einen akutsymptomatischen Anfall?
- Hat Anfall eine primär behandlungsbedürftige Ursache?
- Handelt es sich tatsächlich um den ersten Anfall?
- Ist der erste Anfall bereits Beginn einer Epilepsie?
- Lässt sich bereits der erste Anfall einem Epilepsiesyndrom zuordnen?
- bei diagnostischer Unsicherheit hinsichtlich der Klassifikation des ersten Anfallsereignisses sollte eine Vorstellung in spezialisierten Einrichtung erfolgen
- Differentialdiagnosen
- psychogene nicht-epileptische Anfälle (dissoziative Anfälle)
- (konvulsive) Synkopen
- (Non)-REM-Schlaf-Verhaltensstörungen
- transiente globale Amnesien (TGA)
- paroxysmale Bewegungsstörungen
- transiente ischämischee Attacken
- Iktuale Augenstellung
- A1 + A2 = epileptischer Anfall
- B = psychogener nichtepileptischer Anfall
- C = Synkope
- wichtige iktuale Phänomene zur Differenzialdiagnose von epiletischen und nicht-epileptischen Anfällen
Unterscheidung der Anfallsarten
- epileptischer Anfall:
- Augen: offen, starr, leer oder verdreht
- Dauer: < 2 Minuten
- interindividuell höchst unterschiedliche Anfallsphänomene (individuell meist konstant von Anfall zu Anfall)
- Reorientierung postiktual von variabler Dauer
- bei tonisch-klonischen Anfällen Muskelkater am Folgetag
- psychogener nicht-epileptischer Anfall:
- Augen: oft geschlossen („wie schlafend“, u.U. „zugekniffen“)
- Dauer: oft > 2 Minuten
- im Anfall wechselnde Symptomatik und partielle Reagibilität auf Außenreize
- oft eher dramatischer Ablauf oder stuporartiges Verharren
- oft verzögerte Reorientierung mit Gedächtnislücke für das Ereignis
- (konvulsive) Synkope:
- Augen: offen nach oben verdreht
- asynchrone Myoklonien und variable Abläufe
- oft: Armbeugung, Beinstreckung, rasche Reorientierung (< 1 Minute, außer bei älteren Patienten)
- REM-Schlaf-Verhaltensstörung:
- Augen: geschlossen
- zweite Nachthälfte
- oft jede Nacht
- Unruhe, periodisch, mit komplexen Handlungen und Bewegungen, oft wiederholt („an- und abschwellende“ Phänomenologie)
- nach dem Wecken (unmittelbar) Traumerinnerung
- Non-REM-Schlaf-Verhaltensstörung:
- aus dem Tiefschlaf
- wie REM-Verhaltensstörung, aber ohne Traumerinnerung
- transiente Globale Amnesie (TGA):
- akut einsetzende Störung aller biographischen Gedächtnisinhalte für diese Zeit Gedächtnislücke für das Ereignis
- weitgehend korrekte Handlungsweise
- repetitive Fragen
- erhebliche Irritation und Nachfragen der Betroffenen in der Attacke
- Dauer: mehrere Stunden
- paroxysmale Bewegungsstörung:
- kinesiogen/ nicht kinesiogen
- durch Bewegung/ Anstrengung ausgelöst oder spontan beginnend
- dyston anmutende Bewegungen
- keine Bewusstseinsstörungen
- variable Dauer (bis zu mehreren Monaten)
Therapie
- Valproinsäure
- erste Zieldosis: 750 mg/d
- Maximaldosis: 2000 mg/d
- mittlere Titrationsgeschwindigkeit
- Midazolam
- erste Zieldosis: 10 mg/d
- Maximaldosis: 20 mg/d
- off-label (Akuttherapie)
- länger als zwei Minuten dauernde Anfälle oder Anfallsserien sollten zu einer Akutmedikation führen
- für erwachsene Patienten ist die Gabe von Diazepam rektal etabliert
- nasale Gabe von Midazolam wird schon vielfach angewandt, ist derzeit aber noch nicht offiziell zugelassen
- bukkale Gabe von Midazolam hat nur eine Zulassung bis zum 18. Lebensjahr
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