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„Weißbuch Schwerverletztenversorgung“ der DGU

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 01.10.2019
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://www.dgu-online.de/versorgung-wissenschaft/qualitaet-und-sicherheit/schwerverletzte/weissbuch-schwerverletztenversorgung

Kriterien zur Aufnahme in den Schockraum eines TraumaZentrums DGU

  • Störung der Vitalparameter
    • systolischer Blutdruck unter 90 mmHg nach Trauma
    • GCS unter 9 nach Trauma
    • Atemstörungen/Intubationspflicht nach Trauma
  • festgestellte Verletzungen
    • penetrierende Verletzungen der Rumpf-/Hals-Region
    • Schussverletzungen der Rumpf-/Hals-Region
    • Frakturen von mehr als zwei proximalen Knochen
    • instabiler Thorax
    • instabile Beckenfraktur
    • Amputationsverletzung proximal der Hände/Füße
    • Verletzungen mit neurologischer Querschnittsymptomatik
    • offene Schädelverletzung
    • Verbrennung > 20 % von Grad ≥ 2 b
  • Unfallmechanismus bzw. -konstellation
    • Sturz aus über drei Metern Höhe
    • Verkehrsunfall mit:
      • Frontalaufprall und Intrusion von mehr als 50 – 75cm
      • Geschwindigkeitsveränderung von Delta > 30km/h
      • Fußgänger-/Zweirad-Kollision
      • Tod eines Insassen
      • Ejektion eines Insassen
  • Falls kein Kriterium aus der ersten und zweiten Gruppe vorliegt, sind die Kriterien des Unfallmechanismus der dritten Gruppe zielführend für die Indikationsstellung einer Schockraumversorgung (Aktivierungskriterien am Unfallort häufig nicht eindeutig abzuleiten; andere, nicht genannte Umstände und Zustände können eine Versorgung im Schockraum sinnvoll erscheinen lassen; bei Zweifeln höhere Verletzungsschwere annehmen)
  • Berücksichtigung von Kombination wie Grunderkrankung und Trauma, wie bei Sturz nach Apoplex oder MI)

Übergabe des Verletzten und Dokumentation der präklinischen Versorgung

  • Übergabe des Schwerverletzten erfolgt durch behandelnden Rettungsdienst/Notarzt an verantwortlichen Traumaleader im Beisein des Schockraumteams
  • Aufmerksamkeit des Schockraumteams bzgl. Ausführungen des RD/NA wichtig, um die Ausgangssituation zu erfassen und um einen Zeitverlust durch fehlende Informationen zu vermeiden
  • zur Dokumentation der Befunde und Maßnahmen in der präklinischen Behandlungsphase sollte DIVI-Protokoll verwendet werden

Versorgung schwerverletzter Kinder

  • Verlegungs- oder Kontaktkriterien zu kindertraumatologische Referenzzentrum
    • GCS ≤ 12 (mittleres und schweres SHT), Impressionsfraktur, neurologische Symptomatik
    • Thoraxtrauma mit Lungenkontusion AIS ≥ 3
    • Abdominaltrauma mit Organverletzung AIS ≥ 3
    • Beckenfraktur oder Frakturen von 2 langen Röhrenknochen der unteren Extremitäten
    • Intensivtherapie > 24 Stunden
    • ISS ≥ 16

Versorgung Schwerbrandverletzter

Versorgung in einem ÜTZ mit Zentrum für Schwerbrandverletzte

  • bei schwerverletzten Patienten mit gleichzeitigen Verbrennungen Transport in ÜTZ mit einem Zentrum für Schwerbrandverletzte
  • falls Transportzeit > 30 min Erstversorgung im nächstgelegenen TZ
  • jedes TZ muss Erstversorgung gewährleisten können
  • Zuweisung erfolgt durch direkte Kommunikation innerhalb des regionalen TraumaNetzwerks oder nach Anmeldung durch die zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung von Krankenhausbetten für Schwerbrandverletzte der Feuerwehr Hamburg

Indikationen für die Behandlung in einem Zentrum für Schwerbrandverletzte

  • Verbrennungen Grad 2 von 10 % und mehr Körperoberfläche
  • Verbrennungen Grad 3
  • Verbrennungen an Händen, Gesicht oder Genitalien
  • Verbrennungen durch Elektrizität inklusive Blitzschlag
  • Verätzungen durch Chemikalien
  • Inhalationstrauma
  • Verbrennungspatienten mit Begleiterkrankungen oder
  • Verletzungen, die die Behandlung erschweren
  • Verbrennungspatienten, die eine spezielle psychologische, psychiatrische oder physische Betreuung benötigen

Großschadensereignis MANV/Terror-MANV

  • Definitionen
    • Großschadensereignis
      • Ereignis, bei dem die Lage dazu führt, dass sehr große Anzahl von Personen betroffen ist, aber nicht zwangsläufig Patient sein muss
      • zusätzlich erhebliche materielle Schäden
    • Katastrophe
      • Lage, welche von den für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden nicht mit eigenen Kräften und Mitteln angemessen bewältigt werden kann
    • lebensbedrohliche Einsatzlage
      • Einsatzlage mit hohem Gefährdungspotenzial für das Leben von Opfern, Unbeteiligten und Einsatzkräften, z.B. durch den Gebrauch von Waffen (z. B. Schusswaffen) und Explosivstoffen (z.B. Bomben)
    • Massenanfall von Verletzten (MANV)
      • Folge dieser unterschiedlichen Lagen kann ein Massenanfall von Verletzten (MANV) sein
  • MANV kann nur unter Mitwirkung aller im näheren Umfeld des Ereignisses tätigen Kliniken und medizinischen Einrichtungen adäquat und zielführend bewältigt werden
  • Ziel: jedem Patienten das Überleben zu sichern und soweit wie möglich auch eine gute Lebensqualität zu erreichen
  • bei Terror-MANV Arbeit vor allem unter strategischen und taktischen Gesichtspunkten (z.B. „life before limb“) ausrichten

Massenanfall von Verletzten (MANV) bei Katastrophen und
Großschadensereignissen

  • Versorgung von einzelnen verletzten und polytraumatisierten Patienten im Rahmen normaler Unfälle, Schadensfälle sowie bei Naturkatastrophen, wie z.B. bei Erdbeben, Sturmfluten, oder bei Großschadensereignissen, wie z.B. bei Zugund Flugzeugunglücken
  • MANV liegt dann vor, wenn die aktuell zur Verfügung stehenden Versorgungsund Behandlungskapazitäten für das durch eine Gefahren- oder Schadenslage verursachte Aufkommen von Verletzten überschritten werden und Ressourcenmangel droht
  • Primärversorgung, inkl. Herstellung der Transportfähigkeit erfolgt präklinisch unter den Gesichtspunkten der Transportdringlichkeit und Transportnotwendigkeit in die entsprechende Klinik
  • Ziel: jeden Patienten in geeignete Klinik transportieren, um dort individualmedizinische Versorgung zu erhalten, und gleichzeitig einzelne Klinik in ihren Kapazitäten nicht zu überlasten
  • Voranmeldung der Patienten mit Anzahl und Verletzungsschwere bei jeweiligen KH

Massenanfall von Verletzten bei lebensbedrohlichen Einsatzlagen (Terror-MANV)

  • Beispiele wie Attentäter, die 2015 in Paris mit Sprengstoffen und Waffen einen Anschlag verübten
  • per Definition prinzipiell ebenfalls MANV, welche sich aber grundlegend von „normalem“ MANV unterscheiden, da…
    • … häufig völlig andere Verletzungsmuster, z. B. Schuss- und Explosionsverletzungen, vorliegen
    • … dominiert durch perforierende und penetrierende Verletzungen, die meist schwere Hämorrhagie verursachen
    • … Rahmenbedingungen komplett andere sind, um rasche und adäquate Versorgung zu erreichen
  • Selbsteinweisung oder Zuführung in KH durch Passanten
  • Verteilung bzw. Steuerung der Patienten in die richtige und damit optimale Zielklinik häufig nicht möglich
  • Patienten in der Regel in der ersten Phase eines Terror-MANV präklinisch unversorgt; Patientenströme sind durch die präklinische Rettung nicht zu kontrollieren

Belastung der Klinik beim MANV

  • Erster Patient trifft nach ca. 60 Minuten ein
  • Patienten werden angekündigt
  • Patienten werden gezielt verteilt
  • Patientenzahl ist bekannt
  • Patienten sind vorversorgt
  • Patienten gelangen in die geeignete Klinik

Belastung der Klinik bei Terror-MANV

  • Erster Patient trifft nach ca. 15 Minuten ein
  • Patienten kommen zu Fuß bzw. per Laienrettung
  • Patientenzahl ist nicht bekannt
  • Patienten erreichen die Klinik unversorgt
  • Patienten kommen in die nächstgelegene Klinik
  • Hauptproblem ist die Hämorrhagie

Zusatz zur Belastung der Klinik

  • aufgrund der o.g. Belastungen muss Sichtungsplatz vor Klinik eingerichtet werden, um ungeregelten Zugang in die Klinik durch Patienten und weitere Personen zu verhindern
  • Erstellung oder Aktualisierung eines adäquaten Krankenhaus-Alarm- und Einsatzplan, in dem die Kapitel MANV und Terror-MANV abgebildet sein müssen sowie Fort-/Ausbildung der Mitarbeiter (TDSC- oder MRMI-Kurse)
  • Absprachen und organisatorische Maßnahmen müssen in regionalem TraumaNetzwerk erfolgen und Krankenhaus-Alarm- und Einsatzplan (KAEP) ergänzt werden
  • Klärung von Verantwortlichkeiten, wer Alarmierung und Aktivierung des KAEP übernimmt und wer bis zur Einrichtung der Krankenhauseinsatzleitung (KEL) als Einsatzleitung die ersten organisatorischen und ggf. medizinischen Maßnahmen einleitet

Planung von Auffnahmekapazitäten bei Großschadensereignissen

  • Aufnahmekapazitäten innerhalb der ersten Stunde pro Sichtungskategorie (SK)
VersorgungsstufeSK I (rot)SK II (gelb)SK III (grün)
Lokales TZ028
Regionales TZ136
Überregionales TZ253
Quelle: https://www.dgu-online.de/fileadmin/dgu-online/Dokumente/6._Versorgung_und_Wissenschaft/Qualit%C3%A4t_und_Sicherheit/2019_DGU-Weissbuch_Schwerverletztenversorgung_3._Auflage_FINAL.PDF
  • Aufnahmekapazitäten nach Hochfahren des Alarmplans
VersorgungsstufeSK I (rot)SK II (gelb)SK III (grün)
Lokales TZ0416
Regionales TZ2612
Überregionales TZ4106
Quelle: https://www.dgu-online.de/fileadmin/dgu-online/Dokumente/6._Versorgung_und_Wissenschaft/Qualit%C3%A4t_und_Sicherheit/2019_DGU-Weissbuch_Schwerverletztenversorgung_3._Auflage_FINAL.PDF
Published inLeitlinien kompakt

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