veröffentlichende Fachgesellschaft: Wilderness Medical Society (WMS)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 05.04.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1177/10806032231222359
Pathophysiologie
- Einteilung in vier Phasen
- „Vorgefrieren“ (Prefreeze): Abkühlung des Gewebes mit begleitender Vasokonstriktion & Ischämie sowie ohne tatsächliche Eiskristallbildung –> Hyperästhesie oder Parästhesie (bei Stopp der Kältezufuhr in dieser Phase treten keine dauerhaften Schäden auf)
- Einfrieren & Auftauen: Bildung von Eiskristallen intrazellulär (bei schnell einsetzender Erfrierung) oder extrazellulär (bei langsamerem Einfrieren) –> Protein- & Lipidveränderungen –> zelluläre Elektrolytverschiebungen & Dehydrierung –> Zellmembranlyse –> Zelltod
- Gefäßstauung: Gefäße schwanken zw. Verengung & Dilatation –> Blut kann aus Gefäßen austreten oder in ihnen gerinnen
- späte Ischämie als Ergebnis einer fortschreitenden Gewebeischämie, einer Entzündungskaskade ausgelöst durch Thromboxan A2, Prostaglandin F2alpha, Bradykinin & Histamin –> gestörte Mikrozirkulation –> Zelltod
Klassifikation
- „Frostnip“ = oberflächliche, nicht-frostbedingte Kälteverletzung, die mit einer starken Vasokonstriktion auf der exponierten Haut einhergeht (i.d.R. Wangen, Ohren oder Nase)
- kann Erfrierungen (Frostbite) vorausgehen
- keine Bildung von Eiskristallen im Gewebe und dadurch kein Gewebeverlust
- Taubheitsgefühl und Blässe klingen nach Erwärmung (Kleidung, Atemwärme o.Ä.) schnell ab
- „Frostbite“ (Erfrierungen): Einteilung in eine 4-stufige Klassifizierung (siehe Tabelle) oder 2-stufige Klassifizierung (siehe nachfolgend):
- oberflächliche Erfrierung (kein/minimal zu erwartender Gewebeverlust, entsprechend 1. oder 2. Grad)
- tiefe Erfrierung (zu erwartender Gewebeschaden, entsprechend 3. oder 4. Grad)
- CAVE: Schweregrad der Erfrierungen kann innerhalb einer einzelnen Extremität variieren
Grad 1 | Grad 2 | Grad 3 | Grad 4 | |
---|---|---|---|---|
Symptomatik | – Taubheit & Rötungen – weißer oder gelber, fester & leicht erhabener Belag – ggf. leichte Epidermis-Ablösung – ggf. leichte Ödeme | oberflächliche Blasen (umgeben von Erythem und Ödemen) | Blasenbildung bis in die retikuläre Dermis und unter den Gefäßplexus der Haut | – Erfrierungen durchdringen Dermis vollständig und betreffen das vergleichsweise avaskuläre, subkutane Gewebe – Nekrose bis in die Muskeln und Knochen |
Ausmaß der Läsion an Tag 0 nach rascher Wiedererwärmung | Fehlen von Läsionen | Läsion an den distalen Fuß- oder Fingergliedern | proximale Läsionen sowie Läsionen an Mittelhand & Mittelfuß | Läsion an den Hand-/Fußwurzeln |
Blasen an Tag 2 | keine Blasen | klare oder milchige Blasen | hämorrhagische, tiefe Blasen | hämorrhagische Blasen über der Hand-/Fußwurzel |
Prognose an Tag 2 | keine Amputation | Gewebe-Amputation | Finger-Amputation | Amputation ganzer Gliedmaßen ± systemische Beteiligung ± Sepsis |
Folgeerscheinungen an Fingernägeln | nicht vorhanden | vorhanden | vorhanden | vorhanden |
Therapie
präklinisches Management
- Unterkühlung oder schweres Trauma behandeln
- Schmuck oder Ähnliches entfernen
- schnelles Aufwärmen in Wasser (37 – 39 °C) bis sich die betroffenen Stellen nach ca. 30 min weich und geschmeidig anfühlen (CAVE: kein Auftauen bei Umgebungsbedingungen, die aufgetautes Gewebe wieder einfrieren lassen könnten)
- spontanes oder passives Auftauen zulassen, wenn schnelles Aufwärmen nicht möglich ist
- falls verfügbar, Ibuprofen-Gabe (12 mg/kg/d, zweimal täglich bis max. 2400 mg/d)
- Schmerzmittel (z.B. Opiate) nach Bedarf
- Gabe von niedermolekularen Dextran i.v. erwägen (CAVE: vorher Testdosis wegen Anaphylaxie)
- Lufttrocknen betroffener Stellen (betroffene Stelle NICHT reiben)
- Schutz vor erneutem Erfrieren und direktem Trauma
- falls verfügbar, Aloe-Vera-Creme oder -Gel auftragen
- ggf. Behandlung mit antiseptischer Lösung erwägen zur Infektionsminimierung
- kein präklinisches Debridement von Blasen
- Verbinden mit trockenen und dicken Verbänden
- betroffene Extremität hochlagern
- systemische Flüssigkeitstherapie mit auf min. 37 °C erwärmte VEL, am besten 40 – 42 °C in einzelnen Boli von rund 250 mL (orale Flüssigkeitsgabe, wenn Patient*in wach ist und schlucken kann)
- keine routinemäßige O2-Gabe
- Belastung der betroffenen Extremität vermeiden (z.B. kein Gehen)
innerklinisches Management
- Unterkühlung oder schweres Trauma behandeln
- schnelles Aufwärmen in Wasser (37 – 39 °C) bis sich die betroffenen Stellen nach ca. 30 min weich und geschmeidig anfühlen
- Gabe von Ibuprofen (12 mg/kg/d, zweimal täglich bis max. 2400 mg/d)
- Schmerzmittel (z.B. Opiate) nach Bedarf
- Tetanus-Prophylaxe
- Lufttrocknen betroffener Stellen (betroffene Stelle NICHT reiben)
- Debridement (klare Blasen selektiv drainieren, z.B. durch Nadelaspiration, und hämorrhagische Blasen intakt lassen)
- topische Aloe vera-Therapie alle 6 h mit Verbandswechsel (Nutzung trockener und dicke Verbände)
- Hochlagerung der betroffenen Extremität
- systemische Flüssigkeitstherapie mit auf min. 37 °C erwärmte VEL, am besten 40 – 42 °C in einzelnen Boli von rund 250 mL (orale Flüssigkeitsgabe, wenn Patient*in wach ist und schlucken kann)
- Thrombolyse bei tiefen Erfrierungen innerhalb der ersten 24 h erwägen (Thrombolyse i.v. erwägen, wenn keine Angiographie möglich ist)
- Iloprost-Therapie (bei tiefen Erfrierungen innerhalb von 48 h nach Verletzung erwägen, v.a. wenn keine Angiographie verfügbar ist oder bei Kontraindikationen für Thrombolyse)
- klinische Untersuchung (ggf. mit Angiographie) zur Bestimmung der Operationsränder
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