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Leitlinie „Tactical Combat Casualty Care Guidelines for Medical Personnel“ des CoTCCC (Update 2024)

veröffentlichende Fachgesellschaft: Committee on Tactical Combat Casualty Care (CoTCCC)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 25.01.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://learning-media.allogy.com/api/v1/pdf/f4cf1d4e-3191-443a-befc-415838fb04f2/contents

Care Under Fire/Threat

  • verletzte Person anweisen, sich in Deckung zu begeben und sich selbst zu versorgen, wenn möglich, oder wenn taktisch möglich, verletzte Person in Deckung bringen/ziehen
  • verhindern, dass Verletzte weitere Verletzungen erleiden
  • Verunglückte aus brennenden Fahrzeugen/Gebäuden herausholen und an sichere Orte bringen (Brände löschen, falls möglich)
  • lebensbedrohliche Blutungen mittels proximal der Blutung angelegtem Tourniquet stoppen (falls Blutung nicht klar erkennbar, Tourniquet-Anlage so “high and tight”, also so proximal wie möglich)
  • Atemwegsmanagement am besten bis zur „Tactical Field Care“-Phase aufschieben

Tactical Field Care

  • Einrichtung eines Sicherheitsbereichs
  • Triage aller Verletzten, je nach Bedarf (Patient*innen mit Bewusstseinsstörungen Waffen sowie Kommunikationsgeräte sofort entfernen)

massive/lebensbedrohliche Blutungen

  • Suchen nach unerkannten Blutungen; Kontrolle aller Blutungsquellen
  • falls noch nicht geschehen: Tourniquet-Anlage (2 – 3 cm proximal der Blutungsstelle); ggf. ein zweites Tourniquet, sofern Blutung nicht sistiert
  • Verwendung von blutstillender Gauze als hämostatische Wundauflage bei mit Tourniquet nicht stillbaren Blutungen als Ergänzung oder als Einzeltherapie (min. 3 min direkter Druck nach Behandlung mit hämostyptischer Gaze)
  • iTClamp bei Blutungen im Kopf-/Halsbereich, bei denen die Wundränder leicht wieder angenähert werden können (vorher Woundpacking mit hämostatischem Verband)
    • bei Anwendung am Hals regelmäßige Kontrollen des Atemweges und auf sich ausbreitende Hämatome achten (ggf. erweitere Atemwegssicherung erwägen)
    • keine Anwendung auf oder in der Nähe des Auges/Augenlids (> 1 cm der Augenhöhle)
  • Erstuntersuchung auf hämorrhagischen Schock (Bewusstseinszustand, schwacher/fehlender Radialispuls) und ggf. Einleitung Wiederbelebung/Schock-Therapie

A – Atemwegsmanagement

  • Überprüfung hinsichtlich des freien Atemwegs
  • direktes erweitertes Atemwegsmanagement bei (drohender) traumatischer Atemwegsobstruktion
  • Verletzten bei Bewusstsein helfen, Position einzunehmen, die bestmöglich den Atemweg schützt (z.B. Sitzen, gebeugt nach vorne)
  • bei Bewusstlosigkeit: stabile Seitenlage, Kopf überstrecken
  • Absaugung des Atemwegs, falls notwendig und realisierbar
  • falls vorangegangenes Atemwegsmanagement erfolglos und Atemwegsobstruktion nicht beherrschbar (z.B. Gesichtsfraktur, direkte Atemwegsverletzung, Blutung, Verformung oder Verbrennung), Durchführung chirurgische Krikothyreotomie in…
    • … Bougie-unterstützter offener chirurgischer Technik
    • … offener chirurgischer Standardtechnik
    • Platzierung mit kont. etCO2-Messung überprüfen
    • falls Patient*in noch bei Bewusstsein Lidocain als Lokalanästhetikum verwenden
  • keine HWS-Stabilisierung bei penetrierendem Trauma

B – Beatmung

  • Spannungspneumothorax
    • Verdacht auf Spannungspneumothorax bei Thoraxtrauma, primären Explosionsverletzungen oder folgenden Entitäten:
      • schwere/fortschreitende Atembeschwerden
      • schwere/fortschreitende Tachypnoe
      • fehlende oder deutlich verminderte, einseitige Atemgeräusche
      • SpO2 < 90 %
      • Schock
      • traumatischer Herzstillstand ohne offensichtlich tödliche Verletzungen
    • initiale Versorgung des Spannungspneumothorax
      • Entfernung von persönlicher Schutzausrüstung (z.B. schusssichere Weste)
      • Lagerung in Flachlagerung oder mit leicht erhöhtem Oberkörper (falls bei Bewusstsein, ggf. auch in sitzender Position)
      • Dekomprimierung auf verletzter Seite mit 14er/ 10er 3,25-Zoll-Nadel im 5. ICR VAL oder 2. ICR MCL im 90°-Winkel knapp über der Oberkante der unteren Rippe
      • bei traumatischem Herzstillstand beidseitige Dekomprimierung
    • Nadeldekompression erfolgreich, wenn…
      • Besserung der Atemnot
      • deutlich zischendes Geräusch hörbar
      • Anstieg SpO2 auf > 90 % (CAVE: ggf. einige Minuten warten)
      • Wiedererlangung von Bewusstsein und/oder Radialispuls
    • zweite Nadeldekompression, wenn initiale frustran oder Symptome wieder auftreten (nicht genutzte Punktionsstelle nutzen) und ggf. auch Nadeldekompression auf der anderen Thoraxseite erwägen
  • offene und/oder saugende Thoraxverletzungen mit Chest Seal mit Ventil versorgen (Überwachung bzgl. Spannungspneumothorax)
  • O2-Gabe bei SpO2 < 90 % mit Ziel von SpO2 > 90 %
  • bei schlechter Ventilation und nicht korrigierbare Hypoxie mit SpO2 < 90 % Einlage von Wendl-Tubus sowie Beutel-Maske-Beatmung

C – Circulation

  • Anlage Beckenschlinge bei V.a. Beckenfraktur und schwerer Gewalteinwirkung bzw. Explosionsverletzung sowie…
    • Schmerzen im Beckenbereich
    • größere (Beinahe)Amputationen der unteren Extremitäten
    • Hinweis auf Beckenfraktur bei körpl. Untersuchung
    • Bewusstlosigkeit und/oder Schock
  • Reassesment von vorher angelegten Tourniquets
    • Wechsel von Tourniquet auf der Kleidung auf Tourniquets direkt auf der Haut
    • falls distal des Tourniquets Puls noch tastbar ist, Tourniquet enger drehen
    • bei Nichtsistieren Anlage von zweitem Tourniquet erwägen
    • falls Blutung sistiert, Entfernung des Tourniquets erwägen (Zeitpunkt Entfernung notieren)
    • Wechsel von Tourniquet auf hämostyptische Gaze oder Druckverband, wenn kein Schock vorhanden ist, Wunde/Blutung gut überwachbar oder Tourniquet bei Verletzung eigentlich nicht indiziert
    • Anlagezeit Tourniquet: nicht > 2 h; Tourniquet nicht entfernen, der > 6 h angelegt ist (nur unter engmaschiger Überwachung/Laborkontrolle
    • für alle Tourniquets Anlage-/Konversions-/Entfernungszeitpunkt dokumentieren
  • Prüfung auf Zeichen eines hämorrhagischen Schocks (Reassesment)
  • medikamentöse und Volumentherapie
    • bei Schock(-Risiko) oder Notwendigkeit der Medikamentenapplikation Anlage eines min. 18G-pVKs und NaCl-Gabe; falls i.v.-Zugang nicht möglich, i.o.-Zugang etablieren
    • Indikationen für Gabe von Tranexamsäure (2 g TXA als langsame Infusion oder als Bolus i.v./i.o.; nicht später als 3 Stunden nach Verletzung)
      • Patient benötigt wahrscheinlich Bluttransfusion (z.B. hämorrhagischer Schock, größere Amputationen, penetrierendes Thoraxtrauma, schwere Blutungen)
      • SHT-Anzeichen/-Symptome oder veränderter Bewusstseinszustand
    • Priorisierung bei Auswahl infundierbare Flüssigkeiten bei Schock: kühl gelagertes Vollblut → frisches Vollblut mit niedrigen Titer → Plasma, Erythrozyten und Thrombozyten im Verhältnis 1:1:1 → Plasma oder Erythrozyten im Verhältnis 1:1 → Plasma oder Erythrozyten allein (CAVE: Transfusion von frischem Gruppe O-Vollblut nur durch geschultes Personal)
    • Wärmeerhalt (Spätestens jetzt!!!)
    • wenn kein Schock, bei Bewusstsein und schluckfähig orale Flüssigkeitszufuhr
    • Transfusion sollte so schnell wie möglich nach einer lebensbedrohlichen Blutung erfolgen, um das Leben des Patienten zu erhalten
    • RR-Zielwert: 100 – 110 mmHg (alternativ normal spürbarer Radialpuls)
    • bei refraktärem Schock Spannungspneumothorax als Ursache erwägen

Hypothermie-Prävention

  • frühzeitige, aggressive Maßnahmen für externe Wärmezufuhr ergreifen
  • Minimierung Exposition der Patient*innen ggü. kalten Boden-, Wind- und Lufttemperaturen. (Isolierung zum Boden sowie Wärmedecken)
  • nasse Kleidung durch trockene ersetzen, wenn möglich
  • falls vorhanden, aktive Wärmedecke um Thorax wickeln und unter die Arme in die Achselhöhlen legen (CAVE: nicht direkt auf die Haut legen –> Verbrennungsgefahr)
  • falls vorhanden i.v./i.o.-Flüssigkeitstherapie mit batteriebetriebenen Infusionswärmer
  • Schutz der Patient*innen vor Wind und Niederschlag

moderates oder schweres Schädel-Hirn-Trauma

  • Hypoxämie-Prävention (Ziel-SpO2: > 90 – 95 %); erweitertes Atemwegsmanagement bei dauerhafter SpO2 < 90 % erwägen
  • Hypotonie-Prävention (Ziel-RR: RRsys 100 – 100 mmHg), vorzugsweise mit Vollblut oder Plasma (alternativ 1 – 2 L kristalloide Lösung als Bolus)
  • Behandlung von Herniation (asymmetrische oder fixierte/erweiterte Pupille(n) oder typische Körperhaltung) für max. 20 min und nur wenn rasche chirurgische Dekompression möglich
    • 250 mL 3 %ige/5 %ige ODER 30 mL 23,4 %ige hypertone NaCl langsam i.v./i.o. über 10 min, gefolgt von 0,9%iger NaCl (ei fehlender Reaktion nach 20 min wiederholen; max. 2 Dosen)
    • Punktionsstelle bzgl. Paravasaten überwachen (Therapie ggf. abbrechen)
    • Kopf in 30°-Hochlagerung, sofern kein Schock besteht und taktisch möglich
    • Halskrause, falls vorhanden, lockern und Kopf händisch immobilisieren
    • Hyperventilation bei kont. Kapnographie (Zielwert-etCO2: 32 – 38 mmHg)

penetrierende Augenverletzungen

  • Schnelltest bzgl. Sehschärfe (CAVE: Dokumentation)
  • Auge mit einer starren Augenklappe abdecken (CAVE: kein Druckverband)
  • ggf. Antibiotika-Therapie erwägen

Monitoring

  • SpO2, v.a. bei mittelschwerem/schwerem SHT (CAVE: bei Schock ggf. irreführende Werte)
  • kontinuierliche etCO2-Überwachung
  • weiteres Monitoring erwägen, falls indiziert, taktisch realisierbar und Technik vorhanden

Analgesie

  • 500 mg Paracetamol oral (2x alle 8 h) oder 15 mg Meloxicam oral (1x tgl.) bei leichten bis moderaten Schmerzen im direkten Kampfgeschehen
  • 50 g oder 0,5 – 1 µg/kg Fentanyl i.v/i.o. (Wiederholung alle 30 min) ODER 100 µg Fentanyl i.n. (Wiederholung alle 30 min)
  • 20 – 30 mg (oder 0,2 – 0,3 mg/kg) Ketamin langsam i.v./i.o. (Wiederholung alle 20 min) ODER 50 – 100 mg (oder 0,5 – 1 mg/kg) Ketamin i.m./i.n. (Wiederholung alle 20 – 30 min) mit dem Ziel der Schmerzkontrolle oder Entwicklung eines Nystagmus
  • falls Sedierung erforderlich bei schwerwiegenden Verletzungen aus Gründen der Patientensicherheit/des Behandlungserfolges (CAVE: Atemwegssicherung als Backup)
    • initial 1 – 2 mg/kg Ketamin langsam i.v./i.o. ODER 300 mg bzw. 2 – 3 mg/kg Ketamin i.m. mit dem Ziel einer prozeduralen (dissoziativen) Anästhesie
    • ggf. zusätzlich Gabe von 0,5 – 2 mg Midazolam i.v./i.o. erwägen
  • falls längere Analgesie erforderlich, 0,3 mg/kg Ketamin in 100 mL NaCl 0,9% über 5 – 15 min als Infusion (ggf. Wiederholung nach 45 min)
  • dauerhafte Überwachung des Atemwegs, der Atmung und des Kreislaufs
  • bei Verwendung von Opioid-Analgetika sollte Naloxon (0,4 mg i.v./i.o./i.m./i.n.) verfügbar sein
  • Ketamin nicht kontraindiziert bei SHT oder Augenverletzung, Vorsicht ist aber geboten
  • bei verminderter Atmung nach Opioid-/Ketamin-Gabe, Patient*in in „Schnüffelposition“ bringen (alternativ Beutel-Maske-Beatmung)
  • 4 mg Ondansetron i.v./i.o./i.m. alle 8 h nach Bedarf bei Übelkeit oder Erbrechen (max. 8 mg über 8 h)
  • routinemäßige Verwendung von Benzodiazepinen wie Midazolam wird nicht zur Analgesie empfohlen; Benzodiazepine nicht prophylaktisch einsetzen; Benzodiazepine nicht in Verbindung mit einer Opioid-Analgesie verwenden

Antibiotika

  • Antibiotika werden für alle offenen (Kampf)wunden empfohlen

Wundversorgung

  • Suche nach weiteren Wunden und Versorgung selbiger
  • Austritt von Eingeweide: Blutstillung bei unkontrollierbaren Blutungen mittels hämostyptischer Gaze; Spülung mit sauberer, möglichst warmer Flüssigkeit
  • freigelegte Eingeweideanteile mit feuchten, sterilen, nicht klebendem Material abdecken, vorzugsweise durchsichtiges Material
  • ausgetretene Eingeweideanteile NICHT zurück in Bauchraum schieben
  • Frakturen schienen und Pulse erneut überprüfen

Verbrennungen

  • Grundsatz: Beurteilung und Behandlung als Traumapatient mit Verbrennungen und nicht als Verbrennungspatient mit Trauma
  • Verbrennungen im Gesicht können mit Inhalationstrauma einhergehen, daher Überwachung Atemwege & SpO2 (CAVE: bei Atemnot oder SpO2-Abfall frühzeitige chirurgische Versorgung erwägen)
  • Abschätzen VKOF immer in 10%-Schritten mit Hilfe der Neuner-Regel
  • Verbrennungswunden trockenen und steril abdecken (bei Verbrennungen >20 % VKOF Einwickeln in Rettungsdecke als Wunversorgung & Hypothermie-Prävention)
  • Flüssigkeitstherapie mit Ringer-Laktat-, NaCl- oder Hextend-Lösung bei > 20% VKOF sobald i.v.-/i.o.-Zugang etabliert (max. 1000 mL Hextend, gefolgt von Ringer-Laktat-, NaCl-Lösung je nach Bedarf)
  • initiale Flüssigkeitsmenge: % VKOF x 10 mL/h für Erwachsene mit Gewicht von 40 – 80 kg (bei > 80 kgKG für jede 10 kg zusätzlich 100 mL/h)
  • bei gleichzeitigem hämorrhagischer Schock hat Schock-Behandlung Vorrang
  • bei Verbrennungen < 30 % VKOF orale Flüssigkeitszufuhr erwägen, wenn Verletzte bei Bewusstsein und schluckfähig sind
  • medikamentös-analgetische Therapie in Betracht ziehen

Reanimation

  • kein Reanimationversuch bei Patient*innen mit Explosions- oder Penetrationstraumata und ohne Puls, Atmung oder andere Lebenszeichen

Kommunikation & Dokumentation

  • mit Patient*in ermutigend, beruhigend, erklärend kommunizieren
  • so schnell wie möglich Kontaktaufnahme mit taktischer Einsatzleitung
  • Dokumentation aller klinischen Befunde, durchgeführten Maßnahmen & Zustandsänderungen

Transport

  • Patient*innendokumentation fertigstellen und selbigen mitgeben
  • Sichern aller losen Enden von Verbänden etc.
  • Sichern aller Decken/Gurte etc.
  • Patienten auf/für die Evakuierung vorbereiten

Tactical Evacuation Care

  • Übergabe: Weitergabe von Informationen über Patienten und Zustand so klar und schnell wie möglich (Mindestinformationen: stabil oder instabil, festgestellte Verletzungen und durchgeführte Behandlungen)
  • nach Evakuierung erneute Untersuchung der Verletzungen bzw. auf neue/weitere Verletzungen sowie Kontrolle aller bisher getroffenen Maßnahmen
  • endotracheale Intubation anstelle Krikothyreotomie in Betracht ziehen, wenn geübte Anwender*innen anwesend
  • bei respiratorischen Problemen: schnellstmögliche Sauerstofftherapie, sobald Sauerstoff verfügbar ist, bei niedriger SpO2, Verletzungen der Atemwege, Bewusstlosigkeit, SHT, Schock, Unfall in großen Höhen, Rauchgasintoxikation
  • sofern während Evakuierung bei Patient*in kein Puls und/oder keine Atmung vorhanden, Durchführung einer bilateralen Nadeldekompression
  • während der Evakuierung Wiederbelebungsmaßnahmen durchführen, wenn keine offensichtlich tödlichen Verletzungen vorliegen und chirurgische Weiterversorgung innerhalb kurzer Zeit möglich ist
  • weiterhin mit Patient*in ermutigend, beruhigend, erklärend kommunizieren
Published inLeitlinien kompakt

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