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Leitlinie „The Management of Nausea and Vomiting in Pregnancy and Hyperemesis Gravidarum“ des RCOG

veröffentlichende Fachgesellschaft: Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 02.02.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1111/1471-0528.17739

Grundsätzliches

  • Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft (Nausea and Vomiting of pregnancy, NVP) liegt bei bis zu 90 % Schwangeren und stellt eine der häufigsten Indikationen für Krankenhauseinweisung dar (typ. Aufenthaltsdauer: 3 – 4 d)
  • jährliche NVP-Kosten im NHS (Großbritannien) werden auf bis zu 62.000.000 Pfund geschätzt
  • Definition „Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft“: Übelkeit und/oder Erbrechen während der Schwangerschaft vor der 16. SSW, ohne andere Ursache hierfür (CAVE: umgangsprachliche Redewendung „Morgenübelkeit“ nicht verwenden, da ungenau und auch verharmlosend, v.a. aus Sicht von Betroffenen)
  • Definition „Hyperemesis gravidarum“ (HG): schwere NVP-Form, die 0,3 – 3,6 % der Schwangeren betrifft und Lebensqualität, Nahrungs- & Flüssigkeitsaufnahme beeinträchtigt
  • Pathomechanismus von NVP/HG: Überempfindlichkeit ggü. des „Brechreizhormon“ GDF-15 (GDF15 verursacht Appetitlosigkeit, Geschmacksaversion, Übelkeit, Erbrechen und Gewichtsverlust

Anamnese

  • Vorgeschichte bzgl. NVP/HG
  • Symptomatik: Übelkeit, Erbrechen, Ptyalismus (Hypersalivation), Gewichtsverlust, Probleme bei Nahrungs- & Flüssigkeitsaufnahme, Unterleibsschmerzen, Probleme beim Wasserlassen, Infektionen (z.B. chronische Helicobacter pylori-Infektion) sowie neurologische Zeichen wie Verwirrung, Nystagmus oder Ataxie (Hinweis auf Wernicke-Enzephalopathie)
  • negative Auswirkungen auf Lebensqualität
  • Medikamentenanamnese (sowie Drogengebrauch)
  • Abklärung von Begleiterkrankungen, die durch die fehlende orale Einnahme wichtiger Medikamente negativ beeinflusst sein könnten (z.B. Epilepsie, Diabetes, HIV, psychiatrische Erkrankungen und Hypoadrenalismus)
  • relevante chirurgische Vorgeschichte, wie z.B. Magenbypass, -band etc.

Diagnostik

  • Diagnosestellung „NVP“ nur, wenn Übelkeit & Erbrechen vor 16. SSW auftritt und andere Ursachen für Übelkeit und Erbrechen ausgeschlossen wurden
  • Diagnosestellung „HG“ kann erfolgen, wenn Symptome in der Frühschwangerschaft beginnen und dazu führen, dass Nahrungs- & Flüssigkeitsaufnahme sowie tägliche Lebensaktivitäten stark einschränkt sind (Dehydrierungszeichen fakultativ)
  • CAVE: Ketonurie ist kein Indikator für Dehydratation in Schwangerschaft und sollte nicht zur Beurteilung des Schweregrads herangezogen werden
  • typische auffällige Laborparameter bei NVP & HG: Hyponatriämie, Hypokaliämie, niedriger Serumharnstoff, erhöhtes Hämatokrit und Ketonurie mit metabolischer hypochlorämischer Alkalose, abnorme Schilddrüsenwert (Thyreotoxikose) sowie bei bis zu 40 % der Frauen erhöhte Leberwerte (Transaminasenanstieg) und leicht erhöhte Bilirubin- & Amylasewerte
  • Nutzung von Pregnancy-Unique Quantification of Emesis (PUQE)-Index oder HyperEmesis Level Prediction (HELP) zur Klassifizierung des Schweregrads von NVP und HG
Frage1 Punkt2 Punkte3 Punkte4 Punkte5 Punkte
Wie viele Stunden haben Sie in den letzten 24 h unter Übelkeit gelitten?gar nicht≤ 1 h2 – 3 h4 – 6 h> 6 h
Wie oft müssen Sie durchschnittlich am Tag erbrechen?gar nicht1 – 2 mal3 – 4 mal5 – 6 malmin. 7 mal
Wie oft müssen Sie durchschnittlich am Tag würgen oder haben Brechreiz?gar nicht1 – 2 mal3 – 4 mal5 – 6 malmin. 7 mal
Pregnancy-Unique Quantification of Emesis (PUQE24)-Index
milde Symptomatik bei < 6 Punkte, moderate Symptomatik bei 7 – 12 Punkten sowie schwere Symptomatik bei > 13 Punkten
Übelkeitslevel über
die meiste Zeit
01 (mild)23 (moderat)45 (schwer)
⌀-Erbrechensepidosen/d01 – 23 – 56 – 89 – 12≥ 13
⌀-Brechreizepidosen/d01 – 23 – 56 – 89 – 12≥ 13
Urinieren/Ausfluss (Farbe & Geruch)gleich ofthäufiger aufgrund von Infusionen; helle Farbeetwas seltener; normale Farbeeinmal alle 8 h; leicht dunkelgelbweniger als alle 8 h; dunklerselten; dunkel oder blutig; fauliger Geruch
Schwere der Übelkeit/Erbrechen 1 h nach Einnahme von Medikamenten ODER nach Essen/Trinken ohne Einnahme von Medikamenten0 oder keine Medikamente1 (mild)23 (moderat)45 (schwer)
⌀ Anzahl an Stunden, welche man aufgrund von Krankheit nicht arbeiten/Hausarbeit erledigen kann01 – 2 h3 – 4 h (Teilzeit möglich)5 – 7 h (kann nur ein wenig arbeiten)8 – 10 h> 11 h
Habe mit Übelkeit, Erbrechen und Würgen zu kämpfennormalerschöpft, aber die Stimmung ist gutetwas weniger als normalerträglich, aber schwierigschwierig, bin launisch & emotionalschlecht, bin reizbar & depressiv
Gesamtmenge, die man essen/trinken UND bei sich halten kannwie zuvor; kein Gewichtsverlustca. 3 Mahlzeiten + 1500 mLetwa 2 Mahlzeiten & etwas Flüssigkeit1 Mahlzeit & wenig Flüssigkeit bzw. nur Flüssigkeit oder nur Essensehr wenig, < 1 Mahlzeit, nur Minimalflüssigkeit; häufige Infusionnichts möglich; Flüssigkeit i.v., Nahrung über Magensonde
Antiemetika (Einnahme & Vertragen der Medis)keine Medikamenteimmer vertragen/
eingenommen
beinahe immer immer vertragen/
eingenommen
manchmal vertragen/
eingenommen
selten vertragen/
eingenommen
nie vertragen/
eingenommen (Gabe i.v. o.Ä.)
Symptome im Vergleich zur letzten Wochegroßartigbesserungefähr gleichschlechterviel schlechtersehr viel schlechter
Gewichtsverlust in den letzten 7 d (in %)0 %1 %2 %3 %4 %5 %
Anzahl der Rezepte für Medikament gegen Übelkeit/Erbrechen (nicht Einzeldosen)012345
HyperEmesis Level Prediction (HELP)
≤ 19 Punkte: keine/milde Hyperemesis; 20 – 32 Punkte: moderate Hyperemesis; > 33 Punkte: schwere Hyperemesis

körperliche Untersuchung

  • HF, RR & AF (Tachykardie, Hypotonie & Tachypnoe bei Dehydratation)
  • Temperatur
  • Untersuchung des Abdomens
  • Gewicht bzw. Zeichen von Unterernährung, schnellem Gewichtsverlust (≥ 5 % des Gewichts vor der Schwangerschaft) oder Muskelschwund
  • Dehydrationszeichen (eingefallene Augen, trockene Lippen und Mund, Oligurie oder Anurie etc.)
  • Sonographie, spätestens bei stationärer Aufnahme, um Zustand des Ungeborenen und ggf. Schwangerschaftsalter zu bestimmen

Therapie

  • Indikationen für stationäre Therapie
    • anhaltende Übelkeit & Erbrechen und Unfähigkeit, orale Antiemetika einzunehmen
    • anhaltende Übelkeit & Erbrechen in Verbindung mit klinischer Dehydratation oder Gewichtsverlust (> 5 % des Körpergewichts) trotz oraler Antiemetika
    • bestätigte/vermutete Komorbidität und Unfähigkeit, benötigte Medikamente einzunehmen
  • bei Nichtansprechen auf ein einzelnes Antiemetikum Einsatz von Kombinationen verschiedener Medikamente
  • medikamentöses Eskalationsschema
    • 1. Wahl:
      • 20/20 mg Doxylamin & Pyridoxi als Kombipräparat p.o.
      • 50 mg Cyclizin p.o., i.m. oder i.v. alle 8 h
      • Prochlorperazin: 5 – 10 mg p.o. alle 6 – 8 h (oder 3 mg bukkal) bzw. 12,5 mg i.m./i.v. alle 8 h oder 25 mg rektal tgl.
      • 12,5 – 25 mg Promethazin alle 4 – 8 h p.o., i.m. oder i.v.
      • 10 – 25 mg Chlorpromazin alle 4 – 6 h p.o., i.m. oder i.v.
    • 2. Wahl:
      • 5 – 10 mg Metoclopramid alle 8 h p.o., i.v./i.m./s.c. (CAVE: Gefahr extrapyramidaler Störungen, daher langsame Gabe i.v.)
      • Domperidon: 10 mg alle 8 h p.o. oder 30 mg alle 12 h rektal
      • Ondansetron: 4 mg bzw. 8 mg alle 8 h bzw. alle 12 h p.o. oder 8 mg über 15 min alle 12 h i.v. oder 16 mg täglich rektal (CAVE: bei Bedarf Abführmittel, wenn Verstopfungen auftritten)
    • 3. Wahl:
      • 2x tgl. 100 mg Hydrocortison i.v. und nach klinischer Besserung Umstellung auf 40 – 50 mg Prednisolon oral mit langsamen Ausschleichen
  • Abklärung von Nebenwirkungen (bei Nebenwirkungen sofortiges Absetzen der Medikamente)
  • bei anhaltender oder schwerer HG parenterale, transdermale oder rektale Verabreichung erwägen
  • bei Reflux, Ösophagitis oder Gastritis Histamin-Typ-2-Rezeptorblocker oder Protonenpumpenhemmer erwägen
  • Thiamin oral/i.v. bei Erbrechen oder stark reduzierter Nahrungsaufnahme (v.a. vor Gabe von Dextrose oder parenteraler Ernährung)
  • Thromboprophylaxe mit niedermolekularem Heparin erwägen
  • bei Bedarf Flüssigkeitstherapie i.v.

Behandlungsalgorithmus

https://obgyn.onlinelibrary.wiley.com/cms/asset/5477944b-3bf3-4994-99cc-4cf2f8679072/bjo17739-fig-0006-m.jpg
Published inLeitlinien kompakt

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