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Empfehlung „Verwendung von Jodtabletten zur Jodblockade der Schilddrüse bei einem Notfall mit Freisetzung von radioaktivem Jod“ der SSK

veröffentlichende Fachgesellschaft: Strahlenschutzkommission (SSK)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 30.01.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse/DE/2024/2024-01-30_Jodmerk.html

Empfehlung und Begründung

  • Ziel der Jodblockade: Verhinderung von strahleninduziertem Schilddrüsenkrebs bei besonders vulnerablen Gruppen der Bevölkerung (Ungeborene, Kinder & Jugendliche sowie Schwangere & Stillende)
  • weiterhin besteht in Deutschland nach WHO-Kriterien ein leichter Jodmangel, welcher nicht mehr regional, sondern durch Ernährungsgewohnheiten bedingt ist –> daher Jodblockade in Deutschland von größerer Bedeutung
  • aktuelle Empfehlung der SSK
    • keine Kaliumiodidtabletten zur Jodblockade für Personen, die älter als 45 Jahre sind (ab 45. Lj. ist Risiko von Nebenwirkungen wie Schilddrüsenüberfunktion höher als das geringe Risiko von Schilddrüsenkrebs durch notfallbedingte Expositionen mit radioaktivem Jod)
    • Altersgrenze gilt nicht für Personen, die während eines Notfalls bzw. unmittelbar danach in einer kerntechnischen Anlage tätig sind
    • i.d.R. genügt einmalige Einnahme von Tabletten mit ausreichend hoher Menge stabilen Jods
    • bei wiederholte oder länger anhaltender Jodfreisetzung sowie bei Freisetzung > einige Stunden nach zurückliegender Tabletteneinnahme erneute Einnahme von Jodtabletten
    • frühe Schutzmaßnahmen wie Aufenthalt in Gebäuden, Evakuierung und Vermeidung des Verzehrs von kontaminierter Nahrung & kontaminiertem Trinkwasser empfohlen
    • Verwendung von FFP3-Masken nicht empfohlen, da erzielbarer Schutz nicht ausreicht, um Jodblockade zu ersetzen
    • vor einer möglichen Verteilung soll Ärzt*innen und Apotheker*innen in potenziellen Verteilungsgebieten mit Jodmerkblättern und Informationen über Jodblockade versorgt werden
    • Empfehlung für die Behandlung des Themas Jodblockade im Rahmen ärztl. Fortbildungen
    • Empfehlung an das Bundesumweltministerium, Initiativen im Hinblick auf die Harmonisierung der Maßnahme Jodblockade in Europa zu ergreifen

Merkblatt für Ärzt*innen, Apotheker*innen und die Fachöffentlichkeit

Prinzip der Jodblockade

  • verschiedene radioaktive Jod-Isotope zählen zu den Spaltprodukten beim Betrieb von Kernreaktoren
  • Jod hat Sonderstellung durch Aufnahme in Schilddrüse & Einbau in die Schilddrüsenhormone
  • Jod wird bei Kernreaktorunfällen im gasförmigen Zustand in der Luft vorliegen –> Jod-Niederschlag wird sich zum größten Teil auf Boden & Pflanzen –> Aufnahme in Lebensmittel wie z.B. Milch (zusätzlich auch Aufnahme über die Atemluft möglich) –> Transport über das Blutplasma –> Anreicherung in Speicheldrüsen & Magenschleimhaut –> Aufnahme in der Schilddrüse über sog. Natrium-Iod-Symporters (NIS) mit längerer Speicherung (biologische Halbwertszeit ca. 80 d)
  • Speicherung von radioaktivem Jod in der Schilddrüse ist effektiv verhinderbar, wenn kurz vor oder nach dessen Aufnahme größere Menge von stabilem (nicht radioaktivem) Jod in hohen Einzeldosen eingenommen wird (ca. 100- bis 1.000-fache der normalen täglichen Zufuhr mit der Nahrung, altersabhängig zw. 12,5 – 100 mg Jod) –> noch im Blutplasma zirkulierendes, nicht in der Schilddrüse gespeichertes Jod wird rasch über die Nieren mit biologischer HWZ von einigen Stunden ausgeschieden

Wirkungen von radioaktivem Jod auf die Schilddrüse

  • Aufnahme sehr großer Mengen von radioaktivem Jod in die Schilddrüse –> Strahlung führt zum Absterben nennenswerter Gewebeanteile mit Folge einer nach Wochen bis Monaten entstehenden Schilddrüsenunterfunktion
  • Aufnahme geringerer Mengen über die Luft –> i.d.R. zu geringe Strahlendosis für Absterben von Gewebe und Schilddrüsenunterfunktion, aber Mutation weiterlebender Zellen mit mgl. Folge von Schilddrüsenkrebs (v.a. empfindlich sind Ungeborene > 3. SSM sowie Kinder & Jugendliche bis ca. 18. Lj.)
  • initiales Ziel der Jodblockade: Verhinderung strahleninduzierter Schilddrüsenkarzinome bei Ungeborenen, Kindern & Jugendlichen sowie Schwangeren & Stillenden
  • bei Personen, die während eines Notfalls oder unmittelbar danach in einer kerntechnischen Anlage tätig sind, können Jodtabletten auch zur Vermeidung einer Schilddrüsenunterfunktion dienen

zusätzliche Schutzmaßnahmen

  • Aufenthalt in Gebäuden bei geschlossenen Fenstern und Türen bis zum Vorbeizug der „radioaktiven Wolke“
  • rechtzeitige Evakuierung, am besten vor Freisetzung von radioaktivem Jod
  • behördliche Kontaminationsüberwachung der Nahrungsmittel wie z.B. Milch und des Trinkwassers (v.a. zur Vermeidung der Aufnahme größerer Mengen von radioaktivem Jod)

empfohlener Zeitpunkt für Jodblockade

  • nur dann, wenn nach der radiologischen Lage tatsächlich eine erhebliche Freisetzung radioaktiven Jods erwartet werden muss
  • Schutz von Kindern, Jugendlichen, Schwangeren und Stillenden im Vordergrund aufgrund des höheren Risikos
  • Freisetzung von radioaktivem Jod in einem Ausmaß, das eine Jodblockade für die Bevölkerung als zweckmäßig erscheinen lässt, wird i.d.R. rechtzeitig erkannt (Vorwarnzeit von Stunden bis Tagen)
  • Jodblockade aus eigener Initiative ohne Aufforderung durch zuständige Behörden ist nutzlos und sogar schädlich
  • Einnahme der für die Jodblockade vorgesehenen, hochdosierten Jodtabletten nur im Falle einer Freisetzung von radioaktivem Jod (CAVE: nicht für Ausgleich eines alimentären Jodmangels geeignet)
  • keine Jodblockade bei Personen mit vollständiger Schilddrüsenentfernung

Jodblockade bei Schwangeren und Stillenden

  • unabhängig vom Alter Durchführung der behördlich empfohlenen Jodblockade bei Schwangere zum Schutz des Ungeborenen
  • Feten > 12. SSW nehmen Jod in die Schilddrüse auf und ab 6. Monat ist die Jodspeicherung in der fetalen Schilddrüse erheblich
  • Jodabgabe in die Muttermilch während Stillzeit in individuell unterschiedlicher Menge, daher auch bei Neugeborene beziehungsweise Säuglinge Jodblockade empfohlen

Dosierung der Jodtabletten

  • möglichst vollständige Jodblockade durch hohe Plasmakonzentration an stabilem Jodid
    • bei Erwachsenen Dosis von 130 mg Kaliumiodid
    • bei Schwangeren & Stillenden sowie operierten Personen nach teilweiser Entfernung der Schilddrüse gleiche Joddosis wie die Gruppe > 12 Jahre bis 45 Jahre
  • CAVE: Dosisverringerung reduziert eventuelle Nebenwirkungen nicht, Erhöhung bringt keine weitere nennenswerte Verringerung der Strahlenbelastung
  • keine nüchterne Einnahme wegen potenzieller Magenschleimhautreizung
  • Tabletten können geschluckt oder in Flüssigkeit gelöst eingenommen werden
  • i.d.R. einmalige Einnahme der Jodtabletten ausreichend (ggf. nach Aufforderung durch zuständige Behörde unter bestimmten Voraussetzungen erneute Einnahme)
    • Schutzwirkung der Jodtabletten nimmt mit zunehmender Länge des Zeitraums zw. Einnahme der Tabletten & Aufnahme des radioaktivem Jods ab: auf 80 % bei 48 h vor, auf 50 % bei 72 h vor und auf nur 10 % bei Einnahme der Tabletten 96 h vor der Aufnahme des radioaktiven Jods
    • weitere Einnahme von Jodtabletten nicht erforderlich bei Schwangere, Stillende und bei Neugeborenen (Ausweichen auf andere Maßnahmen)
  • Dosierungsschema für 65 mg-Kaliumiodidtabletten
PersonengruppeTabletten à 65 mg
Kaliumiodid
Tagesgabe
in mg Kaliumiodid
Tagesgabe
in mg Jod
Geburt bis 1 Monat¼16,2512,5
1 Monat – 3 Jahre½32,525
3 Jahre – 12 Jahre16550
älter als 12 Jahre bis 45 Jahre2130100

Kontraindikationen

  • absolute Kontraindikationen: „echte“ Jodallergie (CAVE: nicht Unverträglichkeitsreaktion beziehungsweise Allergie gegen Röntgenkontrastmittel), Dermatitis herpetiformis Duhring, Jododerma tuberosum, hypokomplementämische Vaskulitis, Myotonia congenita
  • relative Kontraindikationen: unter Behandlung stehende Personen mit Hyperthyreose (nachfolgend Überwachung bei allen hyperthyreoten Patient*innen)
  • gelegentlich genannte, jedoch unbegründete Kontraindikationen sind Herzinsuffizienz, verschiedene Tuberkulose-Formen sowie Schwangerschaft & Stillzeit und Hypothyreosen & Thyreoiditiden

Alternativen zur Jodblockade

  • Natriumperchlorat als Medikament der 2. Wahl zur Blockade der Schilddrüse (CAVE: nicht unerhebliches Nebenwirkungspotenzial wie Hautausschlag, Lymphknotenschwellungen, Fieber & Abnahme der Leukozytenzahl oder Agranulocytose/aplastische Anämie, Ikterus und nephrotisches Syndrom)
    • nur indiziert, wenn o.g. absolute Kontraindikationen gegen die Jodblockade bestehen
    • Einnahme während der Schwangerschaft nicht empfohlen
    • in Stillzeit, wenn Natriumperchlorat-Therapie unumgänglich, Abstillen
    • Dosierungen
      • Erwachsene: einmalig 600 mg – 1 000 mg Natriumperchlorat
      • Kinder: einmalig 300 mg – 600 mg Natriumperchlorat pro m2 Körperoberfläche
    • ggf. erneute Einnahme nach 24 h bei wiederholter oder länger anhaltender Freisetzung sowie bei Freisetzung mehr als einige Stunden nach zurückliegender Medikamenteneinnahme

Gesundheitsrisiken durch Jodblockade

  • Hautausschläge, Gewebswassereinlagerungen, Halsschmerz, Augentränen, Schnupfen, Speicheldrüsenschwellungen & Fieber bei Personen mit bekannter Überempfindlichkeit
  • in sehr seltenen Fällen z.B. Jodschnupfen oder Jodexanthem bei Überempfindlichkeit
  • Hyperthyreose bei Schilddrüsesvorerkrankungen, auch wenn bis dahin asymptomatisch
  • Hypothyreose, v.a. bei Neugeborenen & Kleinkindern bei Gabe höherer Joddosen
Published inLeitlinien kompakt

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