Zum Inhalt springen

Leitlinie „Akute infektiöse Gastroenteritis im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter“ der GPGE (Update 2024)

veröffentlichende Fachgesellschaft: Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 05.04.2024
Ablaufdatum: 01.04.2029
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/068-003.html

Grundsätzliches

  • akute infektiöse Gastroenteritis (AGE) eines der häufigsten pädiatrischen Krankheitsbilder
  • Säuglinge & Kleinkinder mit jährlich ca. 1 – 2 AGE-Episoden am häufigsten betroffen
  • AGE ist klinisch durch verminderte Stuhlkonsistenz und für das Alter erhöhte Stuhlfrequenz definiert, die auch mit Fieber und Erbrechen einhergehen kann
  • verläuft häufig mild, ist aber mit einer relevanten Hospitalisationsrate und nicht zu vernachlässigenden Todesraten assoziiert
  • mangelnde Flüssigkeitsaufnahme, Elektrolytentgleisung oder zunehmende Dehydration im Rahmen der AGE sind die häufigsten Gründe für stationäre Krankenhausaufenthalte bei Kindern in Deutschland
  • Definitionen
    • Durchfall/Diarrhoe: Abgang von zu flüssigem Stuhl
    • akute Diarrhoe: akut einsetzend, Dauer maximal 14 d
    • chronischer Durchfall/Diarrhoe: Durchfall über mehr als 14 d

Diagnostik

  • Leitsymptome sind plötzliche Abnahme der Stuhlkonsistenz und Steigerung der Stuhlfrequenz (> 3x/24 h oder mindestens 2 Stühle mehr als die für das Kind übliche Anzahl von Stühlen) mit oder ohne Erbrechen bzw. Fieber
  • Erbrechen dauert typischerweise 1 – 3 Tage, während die Durchfälle üblicherweise 5 – 7 Tage, in manchen Fällen auch bis zu 2 Wochen andauern können; bei persistierender Diarrhoe beträgt Durchfalldauer definitionsgemäß mehr als 2 Wochen
  • wenn weitere Symptome hinzukommen oder Erbrechen, bzw. Diarrhoe über die genannten Zeiträume hinaus anhalten, sollen andere Erkrankungen in Betracht gezogen werden
  • bei Verdacht auf AGE nach weiteren Fällen in der Umgebung, Auslandsreisen, Tierkontakt und Aufnahme potentiell kontaminierter (infektiöser) Nahrungsmittel und Getränke fragen
  • aus differentialdiagnostischen Gründen sollte im Rahmen der Anamneseerhebung auch nach Konsum von diarrhoeauslösenden Nahrungsmitteln/Getränken (z.B. Apfelsaftkonsum oder Smoothies aus fruktosereichen Obstsorten wie Mango, Trauben, Wassermelone, Birne und Apfel) gefragt werden sowie
    • Vorerkrankungen
    • Medikation (z.B. Protonen-Pumpen-Inhibitoren, Antidiabetika, Antiarrhythmika etc.)
    • Antibiotikaexposition (Antibiotika-assoziierten Diarrhoe)
    • Tierkontakt (z.B. Streichelzoo oder Haustiere)
  • Erregerdiagnostik nur dann, wenn sich aus dem Ergebnis erwartungsgemäß medizinische, krankenhaushygienische und infektionspräventive oder relevante melderechtliche Konsequenzen ergeben, z.B.
    • Komorbiditäten, die bei einer infektiösen Gastroenteritis mit einem erhöhten Komplikationsrisiko assoziiert sind (z.B. bei Immundefizienz)
    • schweres Krankheitsbild (z.B. Sepsis, hämolytisch urämisches Syndrom (HUS))
    • Diarrhö-bedingte Hospitalisierung
    • Fallhäufung, bei der ein epidemiologischer Zusammenhang vermutet werden kann
    • vor Einleitung einer empirischen antibiotischen Therapie der Durchfallerkrankung
    • bei nosokomialer Diarrhö
    • Antibiotikaeinnahme innerhalb der letzten 3 Monate oder sonstigen Risikofaktoren für eine C. difficile Infektion
  • bei intravenösem Rehydrationsbedarf Bestimmung von Natrium, Kalium, Kreatinin, Harnstoff, Blutgasanalyse (kapillär oder venös), Blutzucker und Blutbild

wichtigste klinische Zeichen für mittelgradige Dehydration

  • > 5 % Gewichtsverlust
  • verlängerte kapilläre Füllungszeit (> 2 sec)
  • reduzierter Hautturgor
  • trockene Schleimhäute
  • verminderte Tränenbildung
  • eingesunkene Augen
  • vertiefte Atmung
  • Irritabilität
  • Fieber
  • reduzierte Urinproduktion
  • Tachypnoe
  • Tachykardie

Anzeichen für schweren Verlauf

  • Malnutrition
  • Säuglingen, insbesondere bei Rotavirus-Infektion
  • Angeborener oder erworbener Immundefizienz
  • Grunderkrankungen wie z.B. chronisch entzündliche Darmerkrankungen, onkologische Erkrankungen, nach Stammzell- oder solider Organtransplantation

klinische Zeichen einer hypernatriämischen Dehydration

  • unruhige, ungezielte Bewegungen
  • erhöhter Muskeltonus
  • gesteigerte Muskeleigenreflexe
  • Krampfanfälle
  • Schläfrigkeit bis hin zum Koma

Clinical Dehydration Score (CDS)

klinische Befunde012
allgemeines Erscheinungsbildnormaldurstig, unruhig oder lethargisch, aber irritabel, wenn berührttaumelig,
kaltschweißig,
komatös
Augennormalleicht eingesunkenextrem eingesunken
Schleimhäute, Zungefeuchtklebrigtrocken
Tränenvorhandenwenig Tränenkeine Tränen
Auswertung: 0 = keine Dehydration, 1 – 4 = leichte bis milde Dehydration, 5 – 8 = moderat bis schwere Dehydration

Komplikationen

  • Hauptkomplikationen der AGE sind Dehydration mit Hypovolämie sowie Störungen des Säurebasen- und Elektrolythaushalts
    • besonders Dehydrations-gefährdet sind Säuglinge und Kleinkinder < 2 Jahre, Kinder und Jugendliche nach ausgedehnten Darmresektionen und solche mit Immundefizienz, Diabetes mellitus, Stoffwechseldefekten oder Malnutrition
  • Krampfanfälle oder Enzephalopathie treten am häufigsten bei viraler AGE auf, können aber auch durch bakterielle Infektionen verursacht werden
  • bei bestimmten bakteriellen AGE (z.B. durch Yersinien, EHEC,
  • Campylobacter, Salmonellen) kann es zu weiteren erregerspezifischen Komplikationen wie Sepsis, Krampfanfällen, Nierenversagen, sowie mikroangiopathischen (z. B. HUS, TTP), rheumatischen und neurologischen Folgeerkrankungen (z.B. Guillain-Barre-Syndrom, reaktive Arthritis) kommen

Therapie

  • bei AGE ohne Dehydration gewohnte altersentsprechende Nahrung anbieten
  • Standardtherapie der Dehydration bei akuter Gastroenteritis ist rasche orale Rehydration mit Glukose-Elektrolytlösung (Natrium: 60 mmol/L; Glucose: 74 – 111 mmol/L) oder polymerbasierter Elektrolytlösung (ORL = orale Rehydrationslösung)
  • keine Gabe koffeinhaltiger Getränke, Limonaden & Fruchtsäfte zur oralen Rehydration
  • bei Dehydration mit Erbrechen Versuch der Zufuhr von ORL alle 1 – 2 min mittels Löffel oder Spritze, idealerweise durch Bezugsperson
  • Anlage nasogastrale Sonde zur enteralen Rehydration, wenn orale Rehydration mittels häufigen Trinkens oder Löffeln kleiner ORL-Mengen frustran verläuft (Geschwindigkeit von 40 – 50 mL/kg über 4 h)
  • keine Gabe von Antidiarrhoika (z.B. auf Basis von Tannin, Kohle, Gelatine etc.) aufgrund unzureichender Evidenz
  • intravenöse Rehydration soll erfolgen
    • bei Scheitern einer oralen/nasogastralen Rehydration
    • bei Schockzustand
    • bei schwerer Dehydration > 10 % KG (insbesondere, wenn neurologische Symptome bestehen, oder eine schwere Azidose (pH< 7,25; BE<-15 mmol/L) oder Hypo- oder Hypernatriämie vorliegt)
    • bei Symptomen eines Ileus bzw. Passage-Störung, galligem Erbrechen
    • bei Vigilanzminderung und Aspirationsgefahr
  • i.v.-Flüssigkeitstherapie & Bolusgabe initial mit balancierter Vollelektrolytlösung ohne Glukosezusatz (bei Volumenmangel Bolus von 20 mL/kgKG über 10 min)
  • intravenöse Rehydration bei schwerer Dehydration ohne Schock mit schneller Phase von 20 mL/kgKG/h balancierter isotoner Vollelektrolytlösung für 2 – 4 h (abhängig vom Schweregrad der Dehydration ggf. weitere intravenöse Rehydration über 4 – 24 h)
  • bei persistierendem Schock darüber hinaus Suche nach anderen Ursache
  • bei AGE und schwerer Hypernatriämie (≥ 155 mmol/l) bzw. Hyponatriämie (< 125 mmol/l) intensivmedizinische Mitbetreuung während der akuten Phase
  • intravenöse Rehydration soll im Verlauf abhängig von Elektrolyt-Befunden und Alter des Kindes mit balancierter isotoner Vollelektrolytlösung erfolgen (i.v.-Rehydration kann nach initialer Volumengabe mit 5 %igen Glukoseanteil erfolgen)
  • keine Probiotika zur routinemäßigen Therapie der AGE
  • keine routinemäßige Antiemetika-Gabe zur AGE-Therapie (bei starkem Erbrechen Ondansetron-Gabe erwägen)
  • keine Loperamid-Gabe bei akuter Gastroenteritis

Indikationen für Arztvorstellung

  • Alter < 3 Monate, oder Gewicht < 8 kg
  • Fieber > 38°C für kleine Säuglinge (< 3 Monate), > 39°C für größere Kinder (3 – 36 Monate)
  • schwere Grunderkrankung wie z.B. Diabetes mellitus, Nierenerkrankung
  • fortwährendes Erbrechen
  • große und häufige Durchfälle sowie blutige Durchfälle (Durchfälle > 7 Tage)
  • Zeichen für eine Dehydration
  • Unfähigkeit der Eltern ORL (Orale Rehydrations-Lösung) zu verabreichen oder Kind toleriert ORL nicht
  • undurchsichtige Umgebungsbedingungen (nicht einzuschätzende soziale Bedingungen)
  • … aufgrund eines erhöhten Komplikationsrisikos bei
    • jedem Säugling und Kindern mit hohem Fieber
    • Vigilanzminderung
    • starken Bauchschmerzen
    • anhaltender Trink- und Nahrungsverweigerung
    • relevanten Flüssigkeitsverlusten durch häufiges Erbrechen oder Durchfälle
    • blutigen oder länger anhaltenden Durchfällen
    • Vorliegen einer schweren Grunderkrankung

Indikation für stationäre Einweisung

  • bei Säuglingen < 3500 g; oder jünger als 2 Monate
  • nicht gesicherte adäquate ambulante Umsetzung der Rehydration durch Betreuungsperson/en
  • gescheiterte orale Rehydration
  • Malnutrition und/oder Gedeihstörung
  • anhaltende blutige Diarrhoe
  • Hinweis auf Ileus oder intestinale Transportstörung (z.B. Invagination)
  • schwere Dehydration (Gewichtsverlust ≥ 10 %)
  • schwere (chronische) Grunderkrankung (z.B. onkologische Erkrankung, Immundefizienz, Diabetes und andere Stoffwechselstörung)
  • Niereninsuffizienz
  • ausgeprägte Hyponatriämie (Na+ < 130 mmol/L) bzw. ausgeprägte Hypernatriämie (Na+ > 150 mmol/L)
  • neurologische Symptomen (Lethargie/Koma)
  • Schock und/oder schwere Azidose (pH < 7,1)
Published inLeitlinien kompakt

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert