veröffentlichende Fachgesellschaft: Joint Trauma System – Department of Defense Center of Excellence for Trauma
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 01.12.2017
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://jts.health.mil/index.cfm/PI_CPGs/cpgs
Ziele
Anamnese & Unfallmechanismus
- Verletzungsmechanismus lässt häufig auf Augenverletzung schließen
- direktes Trauma mit einer Risswunde am Auge meist offensichtlich
- stumpfes Trauma, das zur Ruptur am hinteren Teil des Augapfels oder einer Verletzung der Netzhaut führt, kann leicht übersehen werden
- kleine Metallfragmente können ins Auge eindringen, obwohl der/die Patient*in scheinbar unversehrt wirkt
- thermische Verbrennungen im Gesicht führen häufig zu Verbrennungen und Kontraktionen der Augenlider (CAVE: Risiko einer Expositionskeratopathie erhöht)
- entscheidend für die Anamnese sind der Verletzungsmechanismus und ggf. vorhandene Schutzmaßnahmen der Patient*innen (z.B. Schutzbrille)
Beurteilung der Sehfunktion
- Beeinträchtigungen der Sehschärfe sind das größte Indiz für eine Augenverletzung
- Die Sehschärfe ist unmittelbar nach einem Trauma ein wichtiger prognostischer Indikator für das Sehergebnis.
- wenn der/die Patient*in nicht in der Lage ist Buchstaben zu lesen, sollte die Fähigkeit, Finger zu zählen, beurteilt werden
- wenn der/die Patient*in keine Handbewegungen erkennen kann, Lichtwahrnehmung mit Hilfe eines hellen Lichts beurteilen
- zusätzlich Dokumentation aller weiteren Vitalparameter
Untersuchung hinsichtlich weiterer kritischer körperlicher Befunde
- offensichtlicher Riss des Augapfels oder eine Ruptur mit prolabiertem Augeninhalt kann Indiz sein, muss aber nicht bei jeder schweren Augenverletzung vorliegen
- ggf. sind die einzigen Befunde einer signifikanten Augenverletzung ein penetrierendes periokulares Trauma oder Lidrisse, eine spitze oder tränenförmige Pupille oder eine abnorme Vorderkammertiefe
- Bestimmung des Augeninnendrucks ist bei Verletzungen wie retrobulbären Blutungen unerlässlich, ist jedoch bei Verletzungen mit offensichtlicher oder vermuteter offener Bulbusverletzung kontraindiziert
- besteht kein Verdacht auf offene Bulbusverletzung, kann der Augeninnendruck mit der Zwei-Finger-Methode ermittelt werden
- bei geschlossenen Lidern vorsichtig abwechselnd auf den Augapfel mit einem Zeigefinger drücken
- bei normalem Augeninnendruck sollte sich das Auge leicht eindrücken lassen
- bei erhöhtem Augeninnendruck ist der Augapfel im Vergleich zum anderen Auge oder zum eigenen Auge viel fester
- bei retrobulbärer Blutung kann sich die Augenhöhle um das Auge herum angespannt anfühlen
- besteht kein Verdacht auf offene Bulbusverletzung, kann der Augeninnendruck mit der Zwei-Finger-Methode ermittelt werden
weitere Maßnahmen
- Analgesie ist wichtiger Bestandteil der Versorgung von Augenverletzungen
- Standardanweisungen des TCCC für die Analgesie gelten auch bei Augenverletzungen, einschließlich analgetische Ketamin-Dosen
- Schmerzen sind bei schweren Augenverletzungen nicht immer vorhanden, das Fehlen von Schmerzen sollte aber nicht als Fehlen einer Verletzung interpretiert werden
- bei Angstzuständen oder Agitation Benzodiazepin in Betracht ziehen
- antiemetische Therapie von großer Bedeutung, um Würgereiz und erhöhten Druck zu verhindern
spezifische Verletzungsmuster
Verletzung des offenen Augapfels (OGI)
- können durch penetrierendes/perforierendes Trauma oder durch Ruptur des Augapfels aufgrund massiver Druckkräfte entstehen
- rasche chirurgische Untersuchung und Reparatur sind entscheidend
- sicherer und effektiver Verschluss eines OGI ist prähospital nicht möglich
- Maßnahmen
- Ermittlung und Dokumentation der Sehschärfe des verletzten und des unverletzten Auges
- Anlegen eines starren Augenschutzes (CAVE: keine Druck auf Auge auslösen)
- Gabe von 4 mg Ondansetron i.v./i.m. alle 8 h nach Bedarf
- Kopf in Rückenlage auf 30° – 45° anheben
- Bewegungen des Patienten minimieren
retrobulbäre Blutung (RBH) & Orbitakompartmentsyndrom (OCS)
- retrobulbäre Blutung = häufigste Ursache des orbitalen Kompartmentsyndroms
- entsteht durch Blutung im begrenzten orbitalen Raum hinter dem Auge, in der Regel in Verbindung mit einem stumpfen Trauma
- kann zu erhöhtem Augendruck und damit zu einem irreversiblen Sehverlust führen
- Sehkraftverlust tritt i.d.R. nach etwa 90 min ein
- weitere Ursachen für OCS sind orbitale Stauungen nach Verbrennungen und ein erhebliches orbitales Emphysem nach Orbitafraktur
- Maßnahmen
- rechtzeitiges Erkennen der Verletzung und der Notwendigkeit eines Eingriffs
- Anamnese
- Proptosis: Vorwölbung des betroffenen Auges im Vergleich zum anderen Auge (Proptosis bei RBH oft angespannt und schmerzhaft)
- erhöhter orbitaler Druck um das Auge herum oder erhöhter Druck durch Palpation (erhöhte Festigkeit und Widerstand im Vergleich zum anderen Auge)
- Verschlechterung oder Verlust der Sehschärfe
- Schmerzbehandlung nach Bedarf
- Antiemetika-Gabe (4 mg Ondansetron i.v./i.m. alle 8 h nach Bedarf)
- Bewegungen des Patienten minimieren
- Rückenlage mit Kopf in 30°- – 45°-Position
- Kühlung des betroffenen Auges (CAVE: Vermeidung von Kompressionsverbänden)
- ggf. 1 g Methylprednisolon i.v.
stumpfe/geschlossene Verletzungen des Augapfels
- z.B. Verletzungen des vorderen Augenabschnitts wie Hyphaema (Blutung in die vordere Augenkammer) und Verletzungen des hinteren Augenabschnitts wie eine Glaskörperblutung und eine Netzhautablösung
- stumpfes Trauma kann zum Verlust des Sehvermögens führen
- Hyphaema kann zu erhöhtem Augeninnendruck und Blutverfärbung der Hornhaut führen
- Grad 0: keine sichtbaren Blutauflagerungen
- Grad 1: Blut füllt weniger als ein Drittel der Vorderkammer aus
- Grad 2: Blut füllt ein Drittel bis die Hälfte der Vorderkammer aus
- Grad 3: Blut füllt eine Hälfte bis weniger als die gesamte Vorderkammer aus
- Grad 4: Blut füllt die gesamte vordere Augenkammer aus
- Maßnahmen
- Untersuchung hinsichtlich der Sehschärfe und weiterer kritischer Details der Verletzung
- verletzten Augapfel schützen; weitere Schäden mit starre Augenschutz verhindern
- Kopf um 30°-45° anheben (frei schwimmendes Blut in der vorderen Augenkammer von der Pupille kann sich so wegbewegen und Pupillenblockade verhindern)
- Analgesie und Antiemese (4 mg Ondansetron i.v./i.m. alle 8 h nach Bedarf)
Verletzungen des Augenlids
- können durch scharfe oder stumpfe Traumata entstehen
- Hauptgefahr besteht in der Möglichkeit einer zugrunde liegenden Verletzung des Augapfels
- bei Lidrissen ist die Inzidenz von Infektionen gering
- ist im Lidriss Fett sichtbar, deutet dies auf Verletzung des Orbitaseptums hin
- bei prolabiertem orbitalen Fettgewebe sind antibiotische Behandlung sowie rasche chirurgische Exploration und Reparatur erforderlich
- Maßnahmen
- Evaluation der Sehschärfe des verletzten und des nicht verletzten Auges
- abgetrenntes Gewebe nach Möglichkeit in Kochsalzlösung konservieren und kühlen
- verletzten Augapfel mit starrer Augenabdeckung schützen
- Analgesie
- Wunde sehr vorsichtig mit sauberem Wasser oder steriler Kochsalzlösung spülen
- vorübergehender Verschluss mit Steristrips
- Tetanus-Prophylaxe
- Prüfung der Notwendigkeit einer Tollwutimpfung
Orbitafraktur
- Fraktur des Orbitaknochens
- tritt auf, wenn ein Gegenstand, der größer als die Breite der Augenhöhle ist (z. B. eine Faust oder ein Softball), auf die Augenhöhle trifft
- weitere Ausdehnung des Orbitainhalts und mechanische Kräfte können zu Frakturen der medialen Wand oder des Orbitabodens führen
- kann zur Herniation des Orbitalinhalts in die umliegenden Nasennebenhöhlen und zur Einklemmung der extraokularen Muskeln an der Bruchstelle führen
- Befunden der körperlichen Untersuchung, die auf eine Orbitalfraktur hindeuten
- tastbare und schmerzhafte Absetzung entlang des Orbitarands
- Enophthalmus (Augapfel liegt weiter hinten in der Augenhöhle als das andere Auge)
- eingeschränkte Augenbewegung
- Taubheitsgefühl unterhalb des Auges (verursacht durch Schädigung des N. infraorbitalis)
- Trismus (tonischer Krampf der Kaumuskulatur des Unterkiefers) und Fehlbiss können auf größere Fraktur des Jochbein-Maxillar-Komplexes hindeuten
- keine ophthalmologischen Notfälle, können aber chirurgische Behandlung erfordern
- Maßnahmen
- Sehschärfe des verletzten und des nicht verletzten Auges prüfen
- Patienten anweisen, sich nicht die Nase zu schnäuzen (CAVE: Gefahr, dass Luft durch die Frakturstelle in die Augenhöhle eindringt)
- Kopf um 30° – 45° anheben
- Analgesie und Antiemese (4 mg Ondansetron i.v./i.m. alle 8 h nach Bedarf)
- Kühlung für 20 min alle 1 – 2 h in den ersten 48 h, um Schwellungen zu reduzieren
chemische Verletzungen des Auges
- Säure- (z.B. Schwefelsäure, Salzsäure) und Baseverätzungen (z.B. Bleiche, Kalk, Ammoniak) können erhebliche Verletzungen verursachen, die zum dauerhaften Verlust des Sehvermögens führen
- Baseverätzungen sind häufiger und haben ein größeres Schadenspotenzial als Säureverätzungen
- Einteilung in vier Grade
Grad | Hornhaut-Epithel | Klarheit der Hornhaut | limbale Ischämie |
---|---|---|---|
I | < 1/3 Verlust des Epithels | Details der Iris deutlich sichtbar | keine Ischämie |
II | > 1/3 Verlust des Epithels | Details der Iris verschwommen, aber sichtbar | < 25% Ischämie |
III | vollständiger Epithelverlust | Pupille noch sichtbar | 25% – 50% Ischämie |
IV | vollständiger Epithelverlust | undurchsichtige Hornhaut | > 50% Ischämie |
- Untersuchung hinsichtlich folgender Fragen
- Schädigung des Hornhautepithels: Wie viel Epithel ist verloren gegangen?
- Klarheit der Hornhaut: Sind die normalen Strukturen (Iris, Pupille) durch die Hornhaut zu sehen?
- limbale Ischämie: Erscheint die Bindehaut am Rande der Hornhaut normal oder gibt es Bereiche, die weiß gefärbt sind?
- Verletzungen des Grades I mit Schädigung des Hornhautepithels, aber klare Hornhaut, keine Hornhauttrübung und keine limbale Ischämie
- Verletzungen der Grade II – IV mit Hornhauttrübungen und eine Limbusischämie
- Maßnahmen
- sofortige gründliche Spülung zur Entfernung der chemischen Substanz (Infusionslösung, steriles Wasser oder sauberes Wasser)
- min. 2 L Flüssigkeit verwenden
- Analgesie
- ggf. Telekonsultation bzgl. weiterer Informationen zur Substanz
- falls möglich, Messung des pH-Wertes der Tränenflüssigkeit (Spülung fortsetzen bis pH-Wert bei 7 liegt)
- sofortige gründliche Spülung zur Entfernung der chemischen Substanz (Infusionslösung, steriles Wasser oder sauberes Wasser)
Sei der Erste der einen Kommentar abgibt