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Leitlinie „Suspension syndrome“ der ICAR MEDCOM (Update 2023)

veröffentlichende Fachgesellschaft: International Commission for Mountain Emergency Medicine
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 09.12.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1186/s13049-023-01164-z

Grundsätzliches

  • Hänge- bzw. Suspensionssyndrom umfasst (Beinahe-)Synkope, Tod am Seil, Tod nach Rettung und Fälle von subakutem Nierenversagen durch Rhabdomyolyse nach Rettung
  • Begriffe wie „Gurt-Hänge-Trauma“ oder „Gurt-Syndrom“ nicht verwenden, da das Hängesyndrom auch ohne Gurt möglich ist
  • Begriff wie „Hängetrauma“ nicht verwenden, da häufig kein oder nur ein minimales Trauma vorliegt

Klassifizierung

  • akutes Hänge-/Suspensionssyndrom
    • Beinahe-Synkope (gekennzeichnet durch Benommenheit, Schwindel, Verwirrtheit, blasse Haut, Kaltschweißigkeit, Wärme/Hitzewallungen, verschwommenes Sehen, Übelkeit und/oder Bradykardie)
    • Hänge-/Suspensionssynkope
    • OHCA nach Hänge-/Suspensionssyndrom
    • Herzstillstand innerhalb von 60 min nach Rettung
  • subakutes Hänge-/Suspensionssyndrom
    • sensorisches/motorisches Defizit in den Beinen, das  > 24 h nach Rettung anhält
    • Endorgandysfunktion, v.a. Rhabdomyolyse-assoziierte akute Nierenschädigung
    • Herzstillstand > 60 min nach Rettung

CAVE: kein Symptom darf auf ein Trauma oder ein anderes med. Zustandsbild hindeuten/zurückzuführen sein (z.B. Trauma, Unterkühlung, Hypoglykämie)

Pathophysiologie

Der Zeitraum bis zur Ausbildung ist sehr variabel und kann nur wenige Minuten bis mehrere Stunden andauern, egal ob mit oder ohne Prodromalsymptome. Der Verlauf ist geschlechtsunabhängig, aber gewichtsabhängig, sowie ggf. anstrengungs & Gurt-abhängig. Für die weit verbreitete Hypothese, dass die Ansammlung von Blut in den unteren Gliedmaßen zur Verringerung des Preloads sowie zur Verringerung des HZV und der Gewebedurchblutung und schließlich zu Bewusstlosigkeit, Leber- & Nierenschäden und Herzstillstand führt, gibt es keinen eindeutig kausal belegten Zusammenhang zwischen Blutansammlung und Herzstillstand. Eher folgt der pathophysiologische Verlauf dem nachfolgenden Schema

  1. initial kommt es zur venösen Blutansammlung, die von größeren Venen ausgeht und in die kleinen venösen Gefäße in den unteren Extremitäten übergeht, welche aber bis auf gelegentliche, leichte Tachykardien und Bluthochdruck keine relevanten Auswirkungen auf die Hämodynamik hat
  2. nachfolgend kommt es einem plötzlichen Abfall der HF, des RR und des Schlagvolumens durch einen Mechanismus, der dem, der neurokardiogenen Synkope ähnelt, zur verringerten, cerebralen Durchblutung und damit zum Bewusstseinsverlust (i.d.R. verbunden mit präsynkopalen Symptomen wie Schwindel, Benommenheit, blasse Haut, Schwitzen, verschwommenes Sehen und Übelkeit)
  3. nach Bewusstlosigkeit keine Regeneration wie bei Synkope durch Sturz in die Horizontale, da durch die hängende Position im Sicherungsgurt i.d.R. keine horizontale Position möglich ist
  4. schlussendlich kann es auf verschiedenen Wegen zu einem letalen Ausgang kommen
    • aus hängender Position resultiert dann weitere Minderung der Organdurchblutung, welche zum Tode führt
    • hängende Position kann zur Atemwegsobstruktion durch Hyperflexion oder Hyperextension des Halses und damit zum Tode führen
    • Gewebeminderdurchblutung & -hypoxie können zur Zelllyse führen und damit zur Rhabdomyolyse mit Hyperkaliämie führen, welche ventrikuläre Arrhythmien sowie eine akute Nierenschädigung auslösen kann

Diagnostik

  • Anamnese hinsichtlich präsynkopaler Symptome wie Schwindel, Benommenheit, blasse Haut, Schwitzen, verschwommenes Sehen und Übelkeit (CAVE: orthostatische Toleranz variiert individuell)
  • Monitoring (min. Puls, Atmung, RR, SpO2, Temperatur & EKG)
    • EKG-Zeichen für Hyperkaliämie (spitze T-Wellen, flache/fehlende P-Wellen, breiter QRS-Komplex, Sinuswellen) sowie Arrhythmien (Bradykardie, Kammerflimmern)
  • ggf., falls vorhanden, Sonographie zur Erkennung tiefer Venenthrombose oder einer rechtsventrikulären Dilatation aufgrund Lungenembolie sowie zum eFAST
  • Labor-Untersuchung (Leber- & Nierenwerte, CK, Myoglobin)
  • BGA zur Feststellung/Ausschluss von Elektrolyt-, Säure-Basen-Störungen und einer Rhabdomyolyse
  • Kontrolle der Urinausscheidung
  • ggf. CT-Untersuchung zum Feststellung/Ausschluss von Begleitverletzungen

Therapie

  • CAVE: Eigenschutz hat Vorrang!
  • grundsätzliches Vorgehen erfolgt gemäß dem ABCDE-Schema
  • Reanimation erfolgt gemäß ERC-/AHA-Algorithmus (oft ausgelöst durch Hyperkaliämie und/oder Lungenembolie)
  • bei Präsynkope oder Synkope rasche Flach-/Rückenlagerung (ggf. auch noch bei hängender Position im Gurt/Seil)
  • sofern Patient*in bei Bewusstsein, wenn möglich, Anleitung zum Bewegen der Beine (Reduktion von Blutansammlung in den Venen)
  • keine Gabe von Medikamenten, die den Serumkaliumspiegel erhöhen (z.B. Succinylcholin)
  • notfallmäßige Nierenersatztherapie bei (Risiko für) Hyperkaliämie und/oder akute Nierenschädigung, v.a. bei hohem Rhabdomyolyse-Risiko bei Suspension-Syndrom > 2 h
Published inLeitlinien kompakt

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