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Leitlinie „Management of Thermal, Chemical and Electrical Burns in the Emergency Department“ der IAEM

veröffentlichende Fachgesellschaft: Irish Association for Emergency Medicine
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 18.08.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://iaem.ie/professional/clinical-guidelines/

Anamnese

  • Ereignisdaten
    • Zeitpunkt der Verbrennung
    • betroffene Stellen und Größe der Verbrennung (Lund & Browder-Tabelle verwenden)
    • alle anderen begleitenden Verletzungen
  • Verletzungsmechanismus
    • Verbrühung
      • geschätzte Temperatur
      • Art der Flüssigkeit
      • Dauer der Exposition
    • Kontaktverbrennung (z.B. Herdplatte)
      • geschätzte Temperatur
      • Art der Oberfläche
      • Dauer der Einwirkung
    • Flamme/Explosion
      • verbrannter/explodierter Stoff
      • Örtlichkeit (geschlossener oder offener Raum)
      • Dauer der Exposition
      • Inhalationstrauma?
    • Stromunfall
      • Spannung
      • Stromart (Gleich- oder Wechselstrom)
      • Dauer der Exposition
    • chemische Einwirkungen
      • Name & Art der Chemikalie
    • Erfrierungen
      • direkter Kontakt mit kalter Oberfläche?
    • Tetanusstatus

Diagnostik & Therapie

  • A – Airway Management & HWS-Verletzungen
    • Immobilisation bei Verletzung bzw. passendem Unfallmechanismus
    • Untersuchung von Nase und Oropharynx bzgl.
      • Hinweisen eines Inhalationstrauma (z.B. Stridor, Heiserkeit, schwarzer Auswurf/Ruß, Atembeschwerden, versengte Nasenhaare oder Schwellungen im Gesicht, versengte Augenbrauen)
      • Hinweisen einer Verbrennung von Oropharynx/Zunge (z.B. Ruß im Mund, klinische Zeichen einer Verbrennung der Zunge, Ödem/Erythem bei Inspektion des Oropharynx)
      • signifikante Verbrennungen am Hals, v.a. zirkuläre Verbrennungen
    • ggf. frühzeitige Intubation bei Inhalationstrauma
  • B – Beatmung/Atmung
    • Überprüfung, ob ausreichende Thoraxexkursionen vorliegen
    • Untersuchung hinsichtlich Verletzungen/Verbrennungen im Thoraxbereich, v.a. zirkuläre Verbrennungen
    • Überprüfung hinsichtlich Barotrauma nach Explosion (z.B. Pneumothorax)
    • Monitoring von Atemfrequenz und SpO2 (CAVE: periphere SpO2-Messung ist bei Kohlenmonoxidvergiftung ungenau)
    • BGA-Messung, v.a. CO-Hb, Met-Hb, Laktat
  • C – Kreislauf
    • Monitoring von Herzfrequenz, Blutdruck, Rekap-Zeit sowie EKG, v.a. bei Stromunfall
    • Anlage pVK oder i.o.-Zugang sowie Flüssigkeitstherapie gemäß Parkland-Formel, ggf. initiale Flüssigkeitsboli vor kontinuierlichem, langsamen Flüssigkeitsausgleich notwendig
    • CAVE: Verbrennungen > 15 % VKOF (> 10 % bei Kindern) können schweren Schock bedingen
    • Urinausscheidung mit Rate von ≥ 0,5 mL/kg/h anstreben (ggf. Katheter-Anlage in Betracht ziehen)
  • D – Neurologie
    • GCS sowie Blutzucker regelmäßig überprüfen
    • CAVE: verminderte Bewusstseinslage kann Hinweis für Hypoxämie, CO/CN-Intoxikation, Methämoglobinämie oder Alkohol-/Drogen-Intoxikation sein (Tox-Screening erwägen)
  • E – äußere Einflüsse
    • regelmäßige Messung der Körperkerntemperatur (zielgerichtetes Temperaturmanagement)
    • Entfernen von Kleidung und Schmuck, sofern möglich (CAVE: haftet die Kleidung an der Haut, diese nicht gewaltsam entfernen)
    • körperliche Untersuchungen des gesamten Körpers (CAVE: Rücken nicht vergessen!)
    • Untersuchung hinsichtlich Gewebsödemen bei zirkulären Verbrennung der Gliedmaßen oder des Körperstamms (CAVE: Gefahr eines Kompartmentsyndrom mit initialen Zeichen wie stärksten Schmerzen und Parästhesien)
    • vollständig zirkuläre thorakale Verbrennung und/oder periphere zirkuläre Verbrennungen mit gestörter peripher Durchblutung erfordern ggf. Escharotomie (vorherige Abklärung mit Verbrennungsklinik, falls möglich)
    • Suche nach Begleitverletzungen
    • ophthalmologische Untersuchung v.a. notwendig bei Verbrennungen im Gesichtsbereich sowie chemischer Einwirkung
    • Analgesie bei Schmerzen
    • Brandwunden präklinisch vorsichtig, am besten mit alubedampften Verbandmitteln, abdecken (ggf. Frischhaltefolie zum Abdecken erwägen)
    • verbrannte Extremitäten, sofern möglich, hochlagern
    • Brandblasen sowie Reinigung der Brandwunden mit NaCl oder sterilem Wasser erst in der Notaufnahme/Verbrennungsklinik

Bewertung der Verbrennungstiefe

Hautschichten/Tiefe der VerbrennungFarbeBlasenRekap-ZeitHeilungsdauerNarbenbildung
EpidermisRötungnein1 – 2 Sekundenbis zu 7 Tagenein
obere Anteile der Dermisblassrosaja1 – 2 Sekundenbis zu 14 Tagenein bis minimal
mittlere bis tiefe Dermisdunkelrosaja> 2 Sekunden2 – 3 Wochen; ggf. Hauttransplantation notwendigja, v.a. bei Heilungsdauer > 3 Wochen
Epidermis sowie Dermis/Kutis und Subkutistiefe Dermis sichtbarBlasenbildung möglich, aber nicht obligatkeine Messung möglichggf. Hauttransplantation notwendigja
tieferliegende Schichten mitbetroffenweißlich, braun, schwarz/verkohlt bis tiefrotneinkeine Messung möglichggf. Hauttransplantation notwendigja

Indikationen für Vorstellung in Brandverletzten-Klinik

  • Verbrennungen ≥ 5 % VKOF oder jede Verbrennung bis in die tieferliegendem Schichten
  • Verbrennungen im Gesicht, an den Händen, am Perineum oder den Füßen
  • Verbrennungen an Gelenken sowie insbesondere am Hals oder in den Achselhöhlen
  • zirkuläre Verbrennungen an den Gliedmaßen, dem Thorax, Bauch oder Hals
  • Verbrennungen mit begleitenden Inhalationsverletzungen
  • elektrische Verletzungen (Stromunfall)
  • chemische Verletzungen
  • Verletzung durch ionisierende Strahlung
  • Verletzungen durch Wasserdampf mit Hochdruck
  • alle Verätzungen durch Flusssäure
  • Verbrennungen bei älteren Erwachsenen (> 60 Jahre)
  • Verbrennungen bei relevanten Vorerkrankungen
  • Verbrennungen mit Begleitverletzungen

CO-Vergiftung

  • CO = giftiges Gas, welches bei unvollständiger Verbrennung von z.B. Kraftstoff entsteht
  • Hb hat größere Affinität zu CO als zu O2, das toxische CO verdrängt also O2 aus dem Hb mit der Folge einer Gewebshypoxie
  • Symptome
    • 0 – 15 % COHb = keine
    • 15 – 20 % COHb = Kopfschmerzen, Verwirrung
    • 20 – 40 % COHb = Übelkeit, Fatigue, Desorientierung, Reizbarkeit
    • 40 – 60 % COHb = Halluzinationen, Ataxie, Krämpfe, Koma
    • 60 % COHb = Tod
  • Therapie besteht primär aus hochdosierter Gabe von O2

Stromunfall

  • Stromunfälle sind von den folgenden Faktoren abhängig
    • Stromquelle (Blitzschlag oder Strom)
    • Spannung (Potentialdifferenz; Hochspannung > 1000 V oder Niederspannung < 1000 V (Hausstrom = 240 V)
    • Strom (Menge der fließenden Energie)
    • Dauer des Kontakts mit Stromquelle
    • Gleich- oder Wechselstrom
      • Gleichstrom = verursacht i.d.R. einzelnen Krampf oder Kontraktion, die die Person von der Stromquelle wegtreibt
      • Wechselstrom = gilt als gefährlicher und verursacht wiederholte Krämpfe und Herzrhythmusstörungen wie VF
  • Symptome
    • Depolarisierung von Muskelzellen = VF, anhaltende Asystolie, Herzrhythmusstörungen, Herzmuskelschäden, linksventrikuläre Dysfunktion, tetanische Kontraktion –> Frakturen
    • Gefäßverletzungen = Thrombose, Kompartmentsyndrom –> Rhabdomyolyse (Kompartmentsyndrom wahrscheinlich bei stärkster Schmerzsymptomatik bei passiver Bewegung der Gliedmaßen)
    • neurologische Verletzungen = periphere Nervenverletzungen, Koma, Enzephalopathie, autonome Dysfunktion
    • Nierenverletzungen = Myoglobinurie
    • sonstige Verletzungen = Trauma, Trommelfellperforation, Katarakt, Hornhautverletzungen
StromquelleHauttieferes GewebeHerzrhythmusstörungen
Niederspannung < 1000 Vlokale Eintritts- und Austrittswundenkönnen auftretensofortiger Herzstillstand möglich, sonst keine Herzrhythmusstörungen
Hochspannung > 1000 VVerbrennungen durch Lichtbogen, Eintritts- und Austrittswunden durch alle Hautschichtenv.a. die Muskulatur betroffen, Kompartmentsyndrom, Rhabdomyolysetransthorakaler Stromfluss kann Herzmuskelschäden und verzögerte Herzrhythmusstörungen verursachen
Blitzschlagoberflächliche oder dermale Verbrennungen durch Lichtbogen, Austrittsverbrennungen an den FüßenTrommelfellperforation und HornhautschädenAtem- & Herzstillstand mit meist verlängerter CPR-Zeit
wahrscheinliche Verletzungsmuster, abhängig von der Stromquelle
Art der VerbrennungSymptome
Verbrennungen durch Hochspannung– hohes Risiko eines Kompartmentsyndroms (ggf. Fasziotomie erforderlich)
– Eintritts- und Austrittsverletzung
– ggf. sehr tiefe Verbrennung ohne starke Verletzung der Haut (schmerzlos, geringe Blutung)
– bei vollständiger Verbrennung bleiben Hauthaare intakt (im Gegensatz zu Verbrennungen durch Blitzschlag/Flammen)
Verbrennungen durch Lichtbogen (typischerweise bei Hochspannung)– trockenes Zentrum der Wunden, Kraterbildung, umgebendes Ödem/Erythem
– Hornhautverletzung
Stichflammen z.B. beim Verbrennen von Müll mit Brandbeschleuniger– ggf. gesprenkeltes Verbrennungsmuster durch spritzenden Brandbeschleuniger
Verbrennungen durch Flammen– ggf. Verbrennungen durch Kleidung, welche sich entzünden kann/hat
– Schweregrad kann von lokaler oberflächlicher Verbrennung bis vollständiger Verbrennung reichen
  • Therapie
    • Elektrolyt überprüfen und ggf. Elektrolyte ausgleichen
    • EKG und Troponin-Bestimmung bei Brustschmerzen und/oder Herzrhythmusstörungen
    • Flüssigkeitsbedarf ggf. höher als bei reinen Hautverbrennungen (Ursache: verdeckte Muskelverletzungen)
    • bei tiefen Gewebeschäden Hämochromogenurie wahrscheinlich, daher frühzeitige Katheter-Anlage (Ziel-Urinausscheidung von 1 – 2 mL/kg/h)

chemische Verbrennungen

  • chemische Verbrennungen/Verletzungen bis zum Beweis des Gegenteils als tiefe Verbrennungen behandeln
  • ggf. erweiterte PSA tragen nach vorheriger Abklärung der Chemikalie; ggf. primäre Kontaktaufnahme durch Feuerwehr mit Spezialanzügen
  • pH-Wert von Substanz und Haut bestimmen
  • Kontaktaufnahme mit Giftnotruf
  • Therapie
    • chemische Substanz sollte so früh wie möglich entfernen bzw. ab-/auswaschen
      • Spülen mit Wasser, um Substanz zu verdünnen
      • CAVE: bei pulverartige Feststoffe nicht abwaschen (Gefahr der „Aktivierung“ der Substanz)
      • ggf. Spülzeiten von 30 Minuten bei Säuren erforderlich, bei Laugen noch mehr
      • Teer nur kühlen und nicht von der Haut entfernen
    • betroffene Kleidung und Schuhwerk entfernen

Sonderfall „Fluorwasserstoffsäure“ (Flusssäure/HF-Säure)

  • Flusssäure = hochgradig giftig (Verwendung beim Ätzen von Glas und Metall sowie zur Herstellung von Kühlmitteln, Herbiziden, Arzneimitteln, hochoktanigem Benzin, Aluminium, Kunststoffen, elektrischen Komponenten und Leuchtstoffröhren)
  • Bindung von Fluoridionen mit Calcium führt zu schwerer Hypokalzämie (sowie Hypomagnesiämie, metabolischer Azidose und Hyperkaliämie)
  • Neutralisierung mit 10 % Kalziumglukonat als Gel mit Ziel-pH der Haut von 5 – 8 (Gel anfangs alle 30 min auftragen und einmassieren, anschließend alle 4 h auftragen)
  • Hochrosiko-Patient*innen
    • alle Verbrennungen mit HF-Säurekonzentration >50 %
    • Exposition von ≥ 5 % VKOF mit beliebiger HF-Säurekonzentration
    • Einatmen oder Verschlucken von HF-Säure
  • Therapie
    • Elektrolyt überprüfen und ggf. ausgleichen

Sonderfall „Cyanid-Vergiftung“ (Blausäure/CN)

  • CN entsteht bei unvollständigen Verbrennung von stickstoffhaltigen Materialien wie Kunststoff, Vinyl, Wolle oder Seide mit Temperaturen > 315 °C in Form giftiger Rauchgase
  • CN-Vergiftung führt zu zellulärer Hypoxie
  • V.a. auf Cyanid-Vergiftung bei
    • Anzeichen neurologischer Beeinträchtigungen wie Vigilanzminderung, Bewusstlosigkeit oder Krämpfe
    • Ruß im Mund oder rußiges Sputum beim Husten
    • BGA mit metabolischer Azidose (erhöhtes Laktat)
    • jegliche Verdachtsmomente aufgrund Einsatzszenario
  • Therapie
    • grundlegende lebenserhaltende Maßnahmen
    • hochdosierte O2-Gabe, ggf. assistierte Beatmung oder Intubation
    • Dekontamination der Patient*innen (vollständiges Entfernen der Kleidung, weitere Kontaminationen der Haut vermeiden und Haut mit Seife und Wasser reinigen)
    • Korrektur der Azidose
    • ggf. medikamentöse Kreislauftherapie, v.a. bzgl. Blutdruckschwankungen
    • Antidot-Gabe (Hydroxocobalamin/Cyanokit) in Betracht ziehen bei Patient*innen mit schwerer Laktatazidose, erheblichen kardiovaskulären Störungen, Koma oder Herz-Kreislaufstillstand; ggf. zusätzlich Natriumthiosulfat erwägen
Published inLeitlinien kompakt

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