veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 31.03.2022
Ablaufdatum: 30.03.2027
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/083-004
Grundsätzliches
- Zahntrauma (dentales Trauma) = akute mechanische Verletzung von Zähnen und deren benachbarten Strukturen
- Einteilung in Fraktur und Dislokation
Frakturklassifikation
- Schmelzinfraktion
- sichtbarer Riss des Zahnschmelzes ohne Substanzverlust
- Kronenfraktur, begrenzt auf den Schmelz (= Schmelzfraktur)
- Kronenfraktur (Schmelz, Dentin, ohne Pulpabeteiligung) (= unkomplizierte Kronenfraktur)
- Schmelz-Dentin-Fraktur
- Kronenfraktur (Schmelz, Dentin, mit Pulpabeteiligung) (= komplizierte Kronenfraktur)
- Schmelz-Dentin-Fraktur mit Freilegung der Pulpa
- Kronen-Wurzelfraktur (mit und ohne Pulpabeteiligung)
- bis in die Wurzel extendierte Kronenfraktur
- Wurzelfraktur ohne Kommunikation zur Mundhöhle
- horizontale bzw. schräge Fraktur der Zahnwurzel
- oftmals erhöhte Mobilität des koronalen Fragments ggf. mit Dislokation
- Wurzelfraktur mit Kommunikation zur Mundhöhle
- horizontale bzw. schräge Fraktur der Zahnwurzel
- oftmals erhöhte Mobilität des koronalen Fragments ggf. mit Dislokation
- Wurzellängsfraktur
- vollständiger Längsriss mit Kommunikation zur Mundhöhle
Dislokationsklassifikation
- Konkussion
- keine Dislokation, keine Lockerung, lediglich Perkussionsempfindlichkeit
- Lockerung
- keine Dislokation, erhöhte Mobilität
- Perkussionsempfindlichkeit
- Blutung aus dem Sulkus möglich
- laterale Dislokation
- Dislokation nach oral, oftmals Verkeilung in dieser Position, Aufbissstörung
- Dislokation nach vestibulär mit oder ohne Verkeilung i. S. e. intrusiven Dislokation
- bei beiden Formen Dislokation des Zahnes mitsamt der frakturierten festhaftenden bukkalen Lamelle
- extrusive Dislokation (Extrusion)
- Dislokation nach inzisal, hochgradige Mobilität (Zahn hängt an der Pulpa und/oder an einigen dentogingivalen Fasern
- intrusive Dislokation (Intrusion)
- Dislokation nach apikal, Verkeilung im Alveolarknochen
- Diskrepanz zwischen Gingiva und Zahnumfang
- Alveole bukkal aufgetrieben
- keine Perkussionsempfindlichkeit
- keine Sulkusblutung
- metallischer Perkussionsschall
- Avulsion
- komplette Herauslösung des Zahnes aus seiner Alveole
Fraktur des bezahnten Alveolarfortsatzes
- vertikale oder schräge Fraktur des Alveolarfortsatzes mit/ohne Verlauf durch das Alveolenfach
- i.d.R. mehrere Zähne betreffend
- mit/ohne Dislokation (Okklusionsstörung)
- auf Druck federnde Auslenkung möglich
- Einrisse der gingivalen Schleimhaut i.d.R. interdental sichtbar, mit/ohne Blutung aus dem Sulkus
Weichteilverletzungen (Lippe, Wange, Zunge)
- begleitende Riss-/Quetsch-/Platzwunden der Weichgewebe in enger Lagebeziehung zur Einwirkung der traumatischen Kräfte
- i.d.R. begleitet von stärkerer Blutung, mit/ohne Einsprengung von Fremdkörpern (Zahnfragmente, etc.)
Symptomatik
- Weichgewebe (Lippe, Zunge, Gingiva, Schleimhaut)
- perforierende Verletzungen (Fremdkörper, Zahnfragmente)
- Riss-, Biss-, Quetschwunden
- Schwellungen
- Zähne
- frakturierte (fehlende oder mobile) Zahnanteile oder Risse der Zähne
- Dislokation eines gelockerten Zahnfragments, ggf. Okklusionsstörung
- exponierte Pulpa, ggf. mit veränderter Sensibilität (Sensibilitätstest mit Eisspray o.Ä.)
- Lockerung der offensichtlich betroffenen und der benachbarten Zähne
- Dislokation des Zahnes ohne/mit Okklusionsstörung
- vollständiger Verlust des Zahnes (leere Alveole)
- Sulkusblutung (perialveoläre Blutung)
- Hartgewebe/Knochen
- Dislokationen/Deformationen
- tastbare Stufen
- abnorme Beweglichkeit (evtl. Krepitation)
Diagnostik
- Hinweise auf Schädel-Hirn-Trauma
- Kopfschmerzen
- Ohnmacht (anterograde/retrograde Amnesie)
- Übelkeit, Erbrechen
- Blutung aus Nase/Ohren
- diagnostisches Grundprinzip „Hartgewebe vor Weichgewebe“ und „von innen nach außen“ mit Inspektion, Palpation und Funktionsprüfung
- Inspektion der gesamten Mundhöhle
- Prüfung auf Lockerung der offensichtlich betroffenen und der benachbarten Zähne
- Funktionstest bzgl. Kieferöffnung/Unterkieferbeweglichkeit
Anamnese
- behandlungsrelevante Grunderkrankungen (z.B. hämorrhagische Diathesen, Immunsuppression, Stoffwechselerkrankungen, Herzerkrankungen und medikamentöse Therapien, Hirndurchblutungsstörung, Vestibularisschwindel)
- Allergien
- Abklärung der Sturzursache & Unfallhergang (Wo? Wie? Wann? Wer? Fremdverschulden? Gewaltverbrechen?)
- Wegeunfall, Schulunfall, Arbeitsunfall (Polizei, Versicherungsträger)
- laufende kieferorthopädische Therapie
- Immunitätsschutz Tetanus (Impfung)
- Aufklärung über Spätfolgen wie Wachstumshemmung des Alveolarfortsatzes, prothetische Weiterbehandlung des Zahnes, ggf. auch späterer Zahnverlust und -ersatz
Therapie
- Ziele
- Vermeidung des Zahnverlustes mit Offenhalten aller sinnvollen Therapieoptionen
- Vermeidung von Infektionen unfallbedingt geschädigter Gewebe und von weiteren Komplikationen wie Entzündung, Schwellung, Abszess, progrediente Resorptionen, Frühverlust von Zähnen und zahnumgebenden Geweben wie Alveolarknochen und Weichgeweben
- Erhalt von Weichgeweben, Alveolarfortsatz, Endodont, Parodont, Zahnhartsubstanz
- Zahnerhalt, Sicherung des optimalen Kieferwachstums möglichst bis zu dessen Abschluss
- Wiederherstellung von Form (Anatomie) und Funktion (Ästhetik, Okklusion, Artikulation, Phonation)
- Sofortversorgung der Wunde mit Reposition und Ruhigstellung der Gewebe
- ggf. Primärversorgung mit Diagnostik in örtlicher Praxis
- Schmerztherapie
- Infektionsprophylaxe (zurückhaltend Indikationsstellung bzgl. antibiotischer Therapie)
- Zuführung zu ärztlicher Behandlung mit schneller Bildgebung
- ggf. Fotodokumentation
- zellphysiologisch Lagerung avulsierter Zähne (z.B. Zahnrettungsbox) bis der/die Patient*in zahnmedizinisch versorgt werden kann
- alternative Lagerungsmöglichkeiten in Alveole, H-Milch, isotoner Kochsalzlösung, Mundspeichel, Ringerlösung
[metaslider id=7968 cssclass=““]
Sei der Erste der einen Kommentar abgibt